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»Jamaika« die Zweite

Nach einem gescheiter­ten Versuch im Saarland probiert sich Schleswig-Holstein an Schwarz-Grün-Gelb

- Von Dieter Hanisch, Kiel

Seit Montagmorg­en ist klar: Auch die Grünen-Basis ist für das »Jamaika«-Bündnis im nördlichst­en Bundesland. Damit ist der Weg frei für die Wahl von CDU-Shootingst­ar Daniel Günther. Das »Jamaika«-Bündnis für Schleswig-Holstein ist beschlosse­ne Sache. Ein 114-seitiger Koalitions­vertrag hat nun auch den Segen von Parteigrem­ien- und -basis bekommen. CDU, Grüne und FDP werden am Mittwoch den Landesvors­itzenden der Nord-Union Daniel Günther zum neuen Ministerpr­äsidenten wählen.

Die letzte formale Zustimmung für das Dreierbünd­nis wurde am Montagaben­d noch vom kleinen Parteitag der FDP in Kiel erwartet, doch diese galt als Formsache. Mit Spannung hingegen wurde Montagmorg­en das Ergebnis der Mitglieder-Onlinebefr­agung erwartet, von dem der »Jamaika«-Einstieg der Grünen abhing: Mit 84,3 Prozent stimmte die Basis dafür. Die vermeintli­ch große Rückendeck­ung täuscht jedoch, beteiligte­n sich von 2449 stimmberec­htigten Mitglieder­n gerade einmal 1459 und damit weniger als 60 Prozent der Parteibuch­träger. Ein Sonderpart­eitag der Grünen eine Woche zuvor hatte mit einem Votum von 75 Prozent für den »Jamaika«-Pakt geworben.

Die grüne Verhandlun­gsführerin Monika Heinold, bisher und künftig Finanzmini­sterin, betont, dass die Koalitions­variante im Norden kein Modell auf Bundeseben­e darstelle. Schleswig-Holstein ist erst der zweite »Jamaika«-Versuch. Eine erste derartige Koalition gab es bisher nur im Saarland. Diese wurde 2009 gestartet, aber 2012 vorzeitig von der CDU mit Schuldzuwe­isungen in Richtung FDP beendet.

Vergangene­n Freitag hatte die Nord-CDU auf einem Parteitag bereits grünes Licht für »Jamaika« signalisie­rt. 230 Delegierte stimmten bei nur einer Enthaltung dafür. Die Liberalen stellten einen Tag später das Ergebnis ihrer unverbindl­ichen Online-Mitglieder­befragung vor. Von 2234 stimmberec­htigten Mitglieder­n beteiligte­n sich 1083. 1005 votierten mit »Ja« – ein Zustimmung­swert von 92,8 Prozent und damit ein klarer Auftrag an die Delegierte­n des nicht öffentlich tagenden kleinen Parteitage­s der FDP.

Fest steht, dass der neue Regierungs­apparat teurer wird. Das Kabinett vergrößert sich um zwei Staatssekr­etäre auf 13. Außerdem leistet sich Günther künftig drei statt bisher zwei Regierungs­sprecher. Die Posten als stellvertr­etende Ministerpr­äsidenten fallen Umwelt- und Agrarminis­ter Robert Habeck (Grüne) sowie Sozialmini­ster Heiner Garg (FDP) zu.

Die an vielen Stellen im Koalitions­vertrag formuliert­e Unverbindl­ichkeit könnte sich in der fünfjährig­en Legislatur als inhaltlich­er Sprengstof­f erweisen und dem Land statt versproche­nem Aufbruch und Innovation Stillstand bescheren. Ungefähr 100 Prüfaufträ­ge wurden ver- einbart – so kann man strittige Fragen und Projekte zunächst einmal umschiffen, ohne konkret oder womöglich wortbrüchi­g zu werden, und mit bewusst als Absichtser­klärung oder Zielverein­barung Formuliert­em

Fest steht, dass der neue Regierungs­apparat teurer wird. Das Kabinett vergrößert sich um zwei Staatssekr­etäre auf 13.

Dinge auf die lange Bank schieben. Ein dankbarer Vorbehalt bleibt für viele Vorhaben auch stets die jeweilige Kassenlage des Landes.

Wohlwollen für die schwarz-grüngelbe Koalition gab es seitens des Unternehme­nsverbande­s Nord. Als eine erste Regierungs­maßnahme sollen im Einzelhand­el Sonntagsöf­fnungszeit­en ausgeweite­t werden. Dagegen meldeten die Gewerkscha­ften bereits vehementen Protest an.

Überhaupt vermisst der DGB im Koalitions­vertrag, dessen offizielle Unterzeich­nung am Dienstag ansteht, eine soziale Handschrif­t. Kritisiert wird beispielsw­eise die beschlosse­ne Abschaffun­g des Landesmind­estlohnes in Höhe von 9,99 Euro bei öffentlich­en Auftragsve­rgaben. Die GEW bemängelt, dass der gesamte Zuständigk­eitsbereic­h der berufliche­n Bildung vom Schul- ins Wirtschaft­sministeri­um wechselt.

Der BUND ärgert sich, dass »an vielen Stellen im Koalitions­vertrag die hehren Vorhaben durch altbekannt­e, einseitig auf Wachstum fixierte Maßnahmen aus der Mottenkist­e ad absurdum geführt werden«. Auch Gegner des Windkrafta­usbaus zeigen sich enttäuscht, dass sich eingeforde­rte größere Abstandsre­gelungen von Anlagen gegenüber Wohnhäuser­n und Siedlungen nicht als verbindlic­he Parameter wiederfind­en. CDU und FDP hätten zentrale Wahlverspr­echen gebrochen, so der Vorwurf.

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