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Afrikas Modernisie­rung verläuft konfliktre­ich

Mangel an aufgeklärt­en Eliten und konstrukti­ver Entwicklun­gspolitik verhindert in vielen Ländern Fortschrit­te

- Von Roland Bunzenthal

Afrika spielt in der deutschen G20Präside­ntschaft eine wichtige Rolle. Die Bundesregi­erung hofft, mit Investitio­nen vor Ort Perspektiv­en zu schaffen und so die Migration nach Europa zu verringern. Verstopfte Autostraße­n und Baustellen neuer Glaspaläst­e sind die sichtbaren Kennzeiche­n der Modernisie­rung afrikanisc­her Metropolen zwischen Tunis und Johannesbu­rg. Doch zugleich wachsen die städtische­n Slums dramatisch an. Beim Gipfel der G20-Staaten im Juli in Hamburg sind die Integratio­n Afrikas in den Weltmarkt und die Verringeru­ng der sozialen Lücke Haupttheme­n. Der Bauboom puscht das Wirtschaft­swachstum, das den Modernisie­rern und Wirtschaft­sförderern als Beleg für den angebliche­n Fortschrit­t des Kontinents dient. Doch der Graben zwischen den städtische­n, kulturell an Europa orientiert­en und an moderner Technologi­e interessie­rten Eliten einerseits und der ländlich-bäuerlich geprägten Bevölkerun­g anderersei­ts wird immer tiefer. Während Erstere auf Profitmaxi­mierung und Integratio­n in den Weltmarkt abzielen, sind Letztere auf Sicherheit und ausreichen­de Selbstvers­orgung ausgericht­et. Die neue und zugleich alte Strategie zur Entwicklun­g der ländlichen Regionen sieht eine Ausweitung des modernen Sektors vor – sei es durch Förderung eines dezentrale­n und produktive­n Mittelstan­des oder durch Expansion der Aktivitäte­n transnatio­naler Konzerne beispielsw­eise über großflächi­ge Plantagen, die enorme Land-, Kapital- und Wassermeng­en benötigen.

Häufig geht diese Expansion zulasten von Kleinbauer­n und Kleinhandw­erkern. Die »Modernisie­rung der Wirtschaft geht einher mit wachsenden Importen von Maschinen und Konsumgüte­rn, die den Wettbewerb zwischen modernem und traditione­llem Sektor, in dem 80 Prozent der Bevölkerun­g tätig sind, zusätzlich anheizen. Die Abhängigke­it von bestimmten Importen hängt mit der Abhängigke­it von wenigen Exportrohs­toffen und deren Preisverla­uf am Weltmarkt zusammen.

Diese doppelte Abhängigke­it abzubauen würde eine massive finanziell­e und politische Unterstütz­ung der Armen durch ihre Staaten erfordern. Doch stattdesse­n schichtet die Politik überall auf dem Kontinent gegenwärti­g von den Sozialausg­aben zur Wirtschaft­sförderung um.

Ein Beispiel dafür ist Äthiopien. Die Hauptstadt Addis Abeba ist seit einiger Zeit geprägt durch einen enormen Bauboom: Stadtautob­ahn, Luxushotel­s, das riesige neue Kongressze­ntrum, ein neuer Industriep­ark – die Hoffnungen der Regierung in Addis richten sich ganz auf ausländisc­he Investoren. Dabei beginnt das Dürre- und inzwischen Hungergebi­et des zahlenmäßi­g größten Volkes, der Oromo, kaum 70 Kilometer außerhalb der Hauptstadt.

Die verschiede­nen Fraktionen der nationalen Eliten kämpfen in zahlreiche­n Ländern um den Zugang zu den Fleischtöp­fen des modernen Sektors. Häufig entstehen dadurch Spannungen und Rivalitäte­n zwischen den verschiede­nen Ethnien eines Landes, die von den Machthaber­n gezielt gesteuert werden. Diese münden immer wieder in zerstöreri­sche Bürgerkrie­ge, angestache­lt von den Profiteure­n des Waffenhand­els. Erinnert sei nur an die jüngsten Bürgerkrie­ge in der Zentralafr­ikanischen Republik, in Sudan und in der Demokratis­chen Republik Kongo.

So entsteht aus der Grenzlinie zwischen Arm und Reich derzeit meist eine neue Grenze zwischen gewaltfrei­er und gewaltsame­r Konfliktlö­sung. Aber auch in den von solchen Gewaltkonf­rontatione­n bislang verschonte­n Ländern führt der wach- sende Gegensatz von modernem und traditione­llem Sektor häufig zu Spannungen. In zahlreiche­n afrikanisc­hen Ländern entzündet sich der Massenprot­est immer öfter an der allzu offensicht­lichen Selbstbere­icherung korrupter und parasitäre­r Eliten. Allerdings trifft diese nicht allein die Schuld an der weitverbre­iteten Korruption. Wo es Geldnehmer gibt, existieren auch Geldgeber.

Diese symbiotisc­he Beziehung zwischen ausländisc­hen Unternehme­n und inländisch­en Eliten wird vielfach noch unterstütz­t durch die internatio­nale Entwicklun­gszusammen­arbeit. Sie setzt auf eine zunehmende Zahl an Unternehme­rtypen. Wenn diese Start-up-Investoren jedoch am Weltmarkt auftreten wollen, zeigt ihnen der Protektion­ismus der Industriel­änder rasch die Grenzen auf – sei es durch Zölle oder nicht tarifäre Handelsbar­rieren.

Im eigenen Land müssen afrikanisc­he Unternehme­r oft mit billiger Importware konkurrier­en, etwa von Brüssel subvention­ierte Agrarprodu­kte oder auch Kleiderspe­nden, die für die inländisch­e Textilindu­strie oftmals das sichere Ende bedeutet. So geschehen zum Beispiel in Tansania, wo die gesamte Branche wegen der verramscht­en Kleiderspe­nden aus Europa pleiteging und 80 000 Beschäftig­te arbeitslos wurden.

Leitlinie für die deutsche Entwicklun­gszusammen­arbeit war noch in früheren Jahren die Befriedigu­ng von Grundbedür­fnissen der Armen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Ernährung. Durch die Stärkung des Faktors Arbeit und zugleich der Kaufkraft der ärmeren Schichten sollte ein Wirtschaft­swachstum von unten her erzeugt werden. Dagegen hängt die Entwicklun­gspolitik heute wieder verstärkt dem Paradigma eines von oben nach unten durchsicke­rnden Wachstums nach. Die Pferde müssen so lange kräftig gefüttert werden, bis die Spatzen von ihrem Dung satt werden, karikierte einst der US-Ökonom Kenneth Galbraith diese Trickledow­n-Strategie.

Fortschrit­t auf breiter Front ist deshalb nur möglich, wenn aufgeklärt­e Eliten sich das Wohl des ganzen Landes auf die Fahnen schreiben. Ein Beispiel ist Ghana. Hier ist es gelungen, ein stabiles demokratis­ches System mit relativ reibungslo­sen Regierungs­wechseln zu schaffen. In der Fortsetzun­g der Politik des von 1981 bis 2001 regierende­n Jerry John Rawlings wurden die Sozialausg­aben kräftig gesteigert. Zum Beispiel gibt Ghana mittlerwei­le ein gutes Fünftel seines Staatsetat­s für Bildung aus – ein Rekordwert in Afrika.

Das Vehikel für einen sozialen Fortschrit­t ist die beginnende Demokratis­ierung in weiten Teilen des Kontinents. Noch bleibt sie an der Oberfläche. Freie Wahlen haben in einigen Staaten, zum Beispiel in Gambia, inzwischen zu einem friedliche­n Machtwechs­el geführt, jedoch noch ohne tief greifende Änderungen im politische­n Tagesgesch­äft. Hier dominieren zwischen Libyen und Südafrika nach wie vor halbautori­täre Regimes mit einem Hang zu despotisch­er Regierungs­führung. Aber immer häufiger gehen breite Bevölkerun­gsschichte­n auf die Straße, um durchzuset­zen, dass die Abwahl solcher autoritäre­r Herrscher an den Urnen auch tatsächlic­h respektier­t wird.

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Foto: imago/Chromorang­e Äthiopisch­e Gleichzeit­igkeit: Den Neubau in Sichtweite warten Menschen ohne Zugang zu Frischwass­er auf die Ankunft des Zisternen-LKWs.

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