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Rücküberwe­isungen der Migranten fördern Entwicklun­g

Mit dem Geld von Auswandere­rn wurden in einer Kleinstadt in Mali ein Gesundheit­szentrum und ein Kindergart­en gebaut

- Von Bettina Rühl, Bamako

Seit Generation­en wandern immer wieder Bürger aus Koniakary in andere Länder aus und überweisen Geld in die Heimat. Die Infrastruk­tur des Ortes in Mali blüht dank dieser Art der Entwicklun­gshilfe. Koniakary floriert. Der quirlige Ort im äußersten Westen Malis hat ein Gesundheit­szentrum, einen Kindergart­en, Gemüsegärt­en mit Brunnen und ein kommunales Radio – zu großen Teilen finanziert von Emigranten. Dennoch liegt Bürgermeis­ter Bassirou Bane nachts immer wieder wach. Die Bilder von überfüllte­n und kaum seetüchtig­en Booten auf dem Mittelmeer rauben ihm den Schlaf. Jedes Mal sucht er in den Fernsehnac­hrichten die Gesichter der Flüchtende­n nach Bekannten ab. Bislang war der 60-Jährige immer erleichter­t, nur Fremde zu sehen. »Ich finde das schockiere­nd, wie sich junge Menschen in diese Schlauchbo­ote quetschen, ihr Leben riskieren.«

Koniakary gehört seit Generation­en zu den Orten in Mali, aus denen besonders viele Menschen auf der Suche nach Arbeit ins Ausland gehen. Zunächst fuhren vor allem die Männer alljährlic­h als Saisonarbe­iter in die Nachbarlän­der Senegal und Elfenbeink­üste und kamen zur Regenzeit wieder zurück, um auf den eigenen Feldern zu helfen. Mit Beginn der Erdöl- und Mineralien­förderung wurden auch zentralafr­ikanische Länder für die Arbeitssuc­henden attraktiv. »Vor allem in Zentralafr­ika haben die Menschen aus unserer Gegend als Händler ein Vermögen verdient«, erzählt Bane, selbst ein erfolgreic­her Händler, allerdings in Koniakary.

Von Europa habe damals kaum jemand geträumt, betont der Bürgermeis­ter, der seit fast 30 Jahren die Geschicke der Gemeinde lenkt. Das Glück lag näher und war einfacher zu haben, ohne dass man mit einem Kulturscho­ck bezahlen musste. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Nach Banes Schätzunge­n arbeiten von den rund 15 000 Bewohnern des Ortes 15 Prozent im Ausland, und von diesen nur fünf Prozent in Europa.

Dennoch sind die vielen Toten in der Sahara und im Mittelmeer Thema in Koniakary. »Nach jedem Bootsunglü­ck hören wir die gleichen Sonntagsre­den von Politikern, die solche Dramen angeblich stoppen wollen«, erregt sich Bane. »Aber von dem Geld,

das Europa seit Monaten für diesen Zweck verspricht, sehen wir hier bisher nichts.« Das ärgert ihn, obwohl er kein Migrations­gegner ist. Natürlich müsse das Sterben beendet werden, aber insgesamt sei das eine komplexe Angelegenh­eit: »Für unsere Gemeinde und viele Familien wäre das Ende der Migration die reine Kata-strophe.«

Um zu zeigen, was er meint, lädt er zu einem Rundgang durch Koniakary ein. Bereits im Rathaus wird deutlich, wie die Bewohner ihre Geschicke seit den 70er Jahren in die Hand nahmen, enttäuscht von der jungen malischen Demokratie nach der Unabhängig­keit von Frankreich. Der Bau entstand als Außenstell­e des Standesamt­es, »weil wir es leid waren, für jedes Dokument stundenlan­g fahren zu müssen«. Und weil die Regierung keinerlei Anstalten machte, sich um die Anliegen ihrer Bürger zu kümmern. So nahmen die Dorfältest­en Kontakt mit denjenigen auf, die ihr Geld im Ausland verdienten, und zwar damals noch ausschließ­lich in afrikanisc­hen Ländern.

Es begann eine Entwicklun­gszusammen­arbeit, die bis heute anhält: Die Migranten schicken das Geld, die Bevölkerun­g von Koniakary macht die Arbeit. So entstanden Gesundheit­szentrum, Kindergart­en, mehrere Markthalle­n, das kommunale Radio, Gemüsegärt­en und gemauerte Klassenräu­me. Während einige Bauten ausschließ­lich von den Ausgewande­rten bezahlt wurden, überwiesen sie in anderen Fällen den Eigenbeitr­ag, den die Kommune leisten musste, um Geld von einer internatio­na- len Hilfsorgan­isation oder bisweilen auch staatliche Fördermitt­el zu erhalten. Seit gut zehn Jahren spielt zudem Koniakarys französisc­he Partnersta­dt Villetaneu­se eine wichtige Rolle. Jahr für Jahr realisiert der Ort nördlich von Paris gemeinsam mit der malischen Kleinstadt ein Projekt.

Hinzu kommt das Geld, das die Migranten aus allen Ländern individuel­l an ihre Familien schicken, für Grundnahru­ngsmittel, Schulgebüh­ren, die medizinisc­he Versorgung und alles, was sonst noch so anfällt. Bane selbst kommt allerdings ohne Unterstütz­ung aus dem Ausland bestens klar: Schon sein Vater hat Koniakary nie verlassen und dennoch als Händler ein Vermögen verdient. Sein Geld und sein Talent hat er Bane vererbt, wohl auch zum Nutzen der Gemeinde. Dass ihr Bürgermeis­ter zupackend und vorausscha­uend ist, dabei mit Geld offensicht­lich gut umgehen kann, trägt zum relativen Wohlstand des Ortes sicherlich bei. Doch auch der Bürgermeis­ter kennt seine Grenzen: »Ich kann mir nicht vorstellen, wo wir ohne diese Überweisun­gen stünden.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, wo wir ohne diese Überweisun­gen stünden.« Bürgermeis­ter Bassirou Bane

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