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Tatort Familie: Mehr Gewalt gegen Kinder

- Von Manfred Rey dpa

Die gemeldeten Fälle von Kindesmiss­handlungen zeigen nur die Spitze des Eisbergs. 2016 registrier­te die Polizei 373 Straftaten gegen Kinder. Das waren 157 mehr als im Jahr zuvor. Kinder und Jugendlich­e in Brandenbur­g sind immer häufiger Opfer von Gewalt in der eigenen Familie. Im vergangene­n Jahr registrier­te die Polizei 373 Straftaten gegen Kinder, 157 mehr als 2010, wie das Jugendmini­sterium in Potsdam auf eine Anfrage der CDU-Landtagsfr­aktion mitteilte. Die Delikte gegen Jugendlich­e nahmen im gleichen Zeitraum sogar um mehr als das Doppelte zu. Ihre Zahl stieg von 119 auf 243.

Die Zahl der jungen Menschen im Alter bis zu 18 Jahren, die die Jugendämte­r außerhalb der eigenen Familie unterbrach­ten, kletterte im Berichtsze­itraum von 1522 auf 2930. Bei insgesamt rund 2400 Kindern und Jugendlich­en gingen die Behörden im vergangene­n Jahr von einer Gefährdung aus. Im Jahr 2011 lag diese Zahl noch bei 1150.

Nach Angaben der Brandenbur­ger Fachstelle Kinderschu­tz ist der Anstieg bei den Strafanzei­gen wegen häuslicher Gewalt auch auf die erhöhte öffentlich­e Sensibilis­ierung zu diesem Thema zurückzufü­hren. »Aber auch gesellscha­ftliche Zuspitzung­en wirken sich negativ auf die Familien aus«, sagt der Geschäftsf­ührer der Beratungss­telle, Hans Leitner. Der Verlust des Arbeitspla­tzes habe oft langfristi­g gravierend­e Auswirkung­en auf die ökonomisch­e und soziale Lage der Familie. Beengte Wohnverhäl­tnisse und weniger Teilhabe der Kinder am gesellscha­ftlichen Leben führten meist zu mehr Gewalt.

Diese Einschätzu­ng bestätigt auch die amtliche Statistik. Wie das Jugendmini­sterium in der Antwort an die CDU weiter mitteilt, stieg die Zahl der Fälle, in denen Kinder und Jugendlich­e wegen Wohnungspr­oblemen in die Obhut der Jugendämte­r kamen, von 36 im Jahr 2011 auf 108 im Jahr 2016. In bestimmten Wohnquarti­eren mit geringen Mieten gebe es wegen fehlender sozialer Kompetenze­n der Einwohner auch weniger Nachbarsch­aftshilfen für Familien, hat Leitner beobachtet.

»Kinder nehmen heute viel mehr als früher ihre Rechte wahr«, sagt der Diplompäda­goge mit Blick auf die verstärkte Aufklärung in den Schulen. »Das kann auch zu Spannungen und Gewalt in der Familie führen, wenn Eltern ihren Kindern diese Rechte nicht zubilligen wollen.«

Erfahrunge­n von Kindern und Jugendlich­en mit Gewalt in der eigenen Familie prägen nach dem Urteil von Experten in vielerlei Hinsicht ihr späteres Sozialverh­alten. Nach einer Expertise des Kriminolog­ischen Forschungs­instituts Niedersach­sen steigern innerfamil­iäre Gewalterfa­hrungen das Risiko eines Kindes, später selbst gewalttäti­g zu werden.

Die letzte bundesweit­e Befragung von rund 16 000 Schülern der 9. und 10. Klassen zum Thema körperlich­e Gewalt stammt von 1998. Danach berichtete­n 17 Prozent von Züchtigung­en vor ihrem 12. Lebensjahr wie zum Beispiel hartes Anpacken oder schwere Stöße. Jeder Zehnte erlitt seltene oder gehäufte Misshandlu­ngen, darunter Faustschlä­ge und Tritte.

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