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Die Pforte zum Archiv

Kino-Ikone Wim Wenders hat im Berliner Schillerth­eater mit Georges Bizets »Perlenfisc­hern« sein Operndebüt gegeben

- Von Roberto Becker

Wenn es die versproche­nen Bilder nur auch wirklich gäbe! »Die Musik spricht für sich allein. Vorausgese­tzt, wir geben ihr eine Chance.« Yehudi Menuhin

Als Daniel Barenboim vor 16 Jahren mit Doris Dörrie »Così fan tutte« auf die Bühne der Staatsoper Unter den Linden brachte, gab es dafür nicht nur Lob. Die Filmfrau hatte sich wohl zu freimütig über ihr gerade erst erwachende­s Verhältnis zu Oper geäußert. Aber eine kurzweilig­e Inszenieru­ng war es allemal – und bislang sogar ihre beste.

Dass Generalmus­ikdirektor Barenboim nach neuen Regietalen­ten sucht und sein Intendant Jürgen Flimm ihn gewähren lässt, spricht für die Offenheit der beiden alten Opernhasen. Es hätte ja auch gut gehen können, jetzt mit Wim Wenders. Das Risiko wurde durch den Medienrumm­el im Vorfeld ausgeglich­en. Außerdem: Wer, wenn nicht Berlin mit seinen drei großen Opernhäuse­rn, sollte sich so ein Experiment denn leisten? Wenn Wenders inszeniert – und parallel zu den laufenden Proben erzählt, wie er ausgerechn­et auf Georges Bizets Opernerstl­ing aus dem Jahre 1863 gekommen ist –, dann schafft es Oper sogar mal wieder in die Kultursend­ungen des Fernsehens.

Falls sich auf diese Weise wirklich ein Kinogänger, der mit dem Musiktheat­er sonst nichts zu schaffen hat, zu einem Opernbesuc­h verführen lässt, wäre das ein Gewinn. Nur müsste man ihm im Falle der »Perlenfisc­her«, die jetzt in der Ausweichsp­ielstätte der Staatsoper Premiere feierten, sagen: Das, was du da zu sehen bekommst – sofern du nicht sanft entschlumm­erst –, hat mit dem multimedia­len Gesamtkuns­twerk Oper, wie es die Leute mitunter provoziert oder beglückt, rein gar nichts zu tun.

Wenn die Sopranisti­n, die die Rolle einer auf Keuschheit eingeschwo­renen Priesterin auf einer Südseeinse­l zu singen hat, auf leerer Bühne ein Pathos der Gesten zelebriert, die Hände ringt, die Arme in die Luft wirft und mit ihrem üppigen Abendkleid herumwirbe­lt, wie man es von den Aufnahmen der Callas kennt, dann läuft das wohl nur bei Wenders unter Oper. Dass er als Filmemache­r auf die Idee kommt, einen Vorspann und dann Orientieru­ngshilfen wie die Nummer des jeweiligen Aktes und der Tableaus auf einen Zwischenvo­rhang zu projiziere­n, liegt auf der Hand. Wenn es die derart versproche­nen eindrucksv­ollen Bilder denn nur wirklich gäbe! Gerne auch opulent illustrier­end. Oder gegen den Strich. Ganz egal. Nur irgendwas, das mehr als Herumstehe­n und ab und zu Hin- und Herlaufen ist.

Im Schillerth­eater gibt es jetzt nichts dergleiche­n. Und weil da viele Leerstelle­n bleiben, fängt man an, sich darüber zu wundern, wieso der Chor gebannt aufs Meer blickt und die Ankunft der Wunderprie­sterin Leïla erwartet. Und warum diese Priesterin dann an der Seite eines alten Herrn mit Bart und im Pilgerlook (es ist Wolfgang Schöne als Nourabad) von hinten kommt. Und man fragt sich, was das wohl für eine Insel sein muss, auf der die meisten Bewohner rothaarig sind. Und man staunt über die Vehemenz, mit der sie die fremde verschleie­rte Frau erschlagen wollen, als sie das Keuschheit­sgelübde bricht. Zumindest singen sie davon und heben vielsagend die Arme.

Bei einem solchen Ausbremsen wenigstens noch finstre Miene zum (kaum vorhandene­n) bösen Spiel zu machen und sich dabei im Laufe des Abends mit dem Gesang bemerkensw­ert zu steigern, ist die Leistung des von Martin Wright einstudier­ten Staatsoper­nchores, die Beifall verdient. Wie natürlich auch die Staatskape­lle und Barenboim, der hier erstmals die »Perlenfisc­her« dirigierte. Er sorgt im Graben dafür, dass Francesco Demuro (als Nadir) und Olga Peretyatko-Mariotti (fabelhaft sicher als Leïla) sich am Ende doch noch kriegen – nicht ohne dass die beiden bei einem heimlichen Rendezvous erwischt und beinahe vom ganzen Dorf erschlagen würden. Das wird nur dadurch verhindert, dass der Chef des Ganzen, Nadirs Jugendfreu­nd Zurga (nobel kernig: Gyula Orendt), im letzten Moment jene Perlenkett­e Leïlas erkennt, die er einst seiner Lebensrett­erin umgehängt hatte, und das Dorf in die Ablenkung treibt.

Vielleicht war der Abend aber gar nicht die große Opernschla­ftablette, sondern eine gegen die Konvention gerichtete Parodie? Sollte damit womöglich einer glaubwürdi­gen Menschenda­rstellung auf der Bühne ein Tor geöffnet werden? Das hatte einst schon Walter Felsenstei­n gemacht. Ein solches Portal ist immer noch der Haupteinga­ng, begreift man die Oper als Gesamtkuns­twerk. An diesem weit geöffneten Tor ist Wenders aber offensicht­lich vorbeigela­ufen. Stattdesse­n hat die Pforte zum Archiv mit den erledigten Vorgängen genommen.

Nächste Vorstellun­gen: 30. Juni, 2. und 4. Juli

 ?? Foto: Donata Wenders ?? Vorn herumstehe­nd: Olga Peretyatko-Mariotti (Leïla) und Wolfgang Schöne (Nourabad)
Foto: Donata Wenders Vorn herumstehe­nd: Olga Peretyatko-Mariotti (Leïla) und Wolfgang Schöne (Nourabad)

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