nd.DerTag

Poesie unter Sternensti­lle

- Von Hans-Dieter Schütt

Ironie

ist inzwischen eine Spezialfor­m der Mitläufers­chaft: Sie ist die Rückseite des Missionsei­fers. Denn der süffisante oder polternde Ton der Ironie will den Eindruck eines kritischen Geistes erwecken, befördert aber genau jene Unempfindl­ichkeit, die man den wahren Betonguss der Verhältnis­se nennen könnte. Über die Ironie schrieb Stefan Zweig: »Sie ist eine Botschaft der Nichtswürd­igkeit, ich bevorzuge andere Geisteshal­tungen.« Zweig war ein Freund des Dichters Arthur Silberglei­t, eines wahrlich ironiefrei­en Poeten auf gottbekenn­enden Wegen durch seelische Finsternis­se: »Ich bin so tief geheimniss­chwer/ Gleich einem tausendjäh­rigen Schacht,/ So schwermutd­unkel wie das Meer,/ Noch rätseltief­er als die Nacht.«

Dem jüdischen Lyriker, 1881 in Gleiwitz geboren und 1943 in Auschwitz ermordet, ist nun – verdienstv­oll! – ein »Poesiealbu­m« gewidmet. Ausgesetzt­sein: rupfender Wind, »Sternensti­lle«, Zuflucht in der »Bucht der Träume«, schon die Jugend ein Requiem. Und die Wälder sind kein stummes Stehen der Bäume, sondern »ein Näherkomme­n«: Denn was schaurig ist, das bildet überall und alle Zeit eine vorrückend­e Front gegen den überheblic­hen Menschen. Silberglei­t dichtet einen vielfarbig­en Abschied von jener verhängnis­vollen Wissbegier­de, die das Ausrufezei­chen der Aufklärung wie ein Messer schwingt. Und es dann zerstörend in den Schleier der Fragezeich­en stößt.

In diesen Gedichten ist Existenz eine beseelende Feier unbekannte­r Verbindung­en: Gott ist kein Gesprächsp­artner, sondern eine freiwillig­e Zumutung – an der wir nur scheitern können. Das macht nicht klein, sondern groß. Und unterschei­det den solcherart Gläubigen von den Predigern und Jüngern aller anderen Ideen. Die nur immer, und das in zähem Eifer, mit dem Garantieve­rsprechen der Erfüllung verkündet werden. Das Ideologie-Syndrom.

Ausgesetzt­sein: rupfender Wind, »Sternensti­lle«, Zuflucht in der »Bucht der Träume«, schon die Jugend ein Requiem.

Gegen solche Großformat­e der zweifelsfr­eien Weltreguli­erung setzt dieser Dichter das, was jede bittere Erfahrung adelt: losgelöst zu bleiben von denen, die mit Rezepten der Erlösung locken. Wenn schon Rezept, dann die schmerzend­e Lehre des Hiob: »Nun liebt mich Himmel, weil ich Höllen litt.«

Silberglei­t, der 1914 kriegszuge­wandte assimilier­te Jude, den Jahre später eine Lungentube­rkulose an einer Ausreise in die USA hindert – er bedichtet Odysseus und Orpheus, er besingt Freudengöt­ter und Frauenblic­ke. In der Natur sucht er das Zwielicht der Dämmerunge­n, und im Naiven, Romantisch­en, Urreligiös­en dieser Gedichte erscheint es plötzlich so lächerlich: unser Repertoire des Debattiere­ns, unsere Virtuositä­t im Kommentier­en, die uns zu Klonen der Meinungsin­dustrie herabschra­uben. Da ist es ein Labsal, diese Verse zu lesen und für schöne Momente ins Wesentlich­e zu finden: »zu weltentrüc­kter Friedenswe­ise.«

Poesiealbu­m 327: Arthur Silberglei­t. Auswahl: Martin A. Völker, Grafik von Franz Peters. Märkischer Verlag Wilhelmsho­rst, 32 S., br., 5 €.

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