nd.DerTag

Heißer Scheiß

Zu Besuch am Kaffeepuls des Planeten in Vietnam

- Von Felix Lill

Wien und Paris mögen Europas Destinatio­nen für Kaffeelieb­haber sein. Aber wer Weltsicht hat, muss nach Vietnam: Nirgends ist die BohnenKult­ur ausgereift­er, vielfältig­er und gesellscha­ftlich unverzicht­barer. »Und das hier ist die Scheiße«, sagt Thuy Uyen Bui wie selbstvers­tändlich, als sie einen langförmig­en, trocknen Klumpen Bohnen neben die Untertasse legt. Hellbraun, zusammenge­halten durch das, was dieses Tierchen sonst noch so ausgeschie­den hat. »An gute Kunden verschenke­n wir ein paar Klumpen, als Andenken an unser Produkt.« Bui nimmt das Stück wieder in die Hand und lächelt so herzlich, als würde sie teures Parfüm verkaufen. Aber das, was sie für einen der größten Schätze ihres Landes hält, ist ja viel kostbarer: Kaffeebohn­en, die ein Wiesel gegessen, verdaut und wieder ausgeschie­den hat. Es ist ein Verfeineru­ngsprozess, durch den der beste Kaffee Vietnams entstehen soll.

Die Note ist holzig, mild, matt, aber kräftig. Nach ein paar Schlucken Wieselkaff­ee wird noch der müdeste Mensch hellwach. Wäre auch schlimm, wenn nicht, denn eine Tasse kostet ein kleines Vermögen. Für die feine Mischung aus den Typen Arabica und Robusta legen Kunden 250 000 Dong hin, umgerechne­t knapp zehn Euro. Das macht die Brühe aus Saigon wohl auch zu einem der teuersten Kaffees der Welt.

Dass so eine Zubereitun­g in einem Café in der vietnamesi­schen Metropole Saigon angeboten wird, verwundert zunächst. Der durchschni­ttliche Einwohner verdient hier bloß fünf Millionen Dong im Monat (rund 198 Euro). Aber dann ergibt es doch wieder Sinn. Ob mit Wieselkot, Ei, oder Haselnuss zubereitet, mit angeblich heilenden Kräutern, zuckersüße­r Milch oder gemischt mit Tee: in Vietnam herrscht ein Einfallsre­ichtum für Zubereitun­gen, das notorische Kaffeehots­pots wie Wien oder Paris locker in den Schatten stellt. Wer das Potenzial des beliebtest­en Koffeinget­ränks der Welt kennen will, der muss hierherkom­men: nach Vietnam.

Und einer der ersten Anlaufpunk­te ist dann das Café Legend Revived, in der Hau Giang Straße 49, irgendwo zwischen dem Stadtzentr­um und dem Flughafen von Ho Chi Minh City, oder wie die Leute hier lieber sagen: Saigon. »Vietnams feinstes Geschenk«, steht auf einem Banner unter der Decke geschriebe­n. Ansonsten ist der Laden unscheinba­r, sieht von der staubigen Seitenstra­ße aus wie eines der unspektaku­läreren Cafés dieser 8,5Millionen­stadt. Die Gäste, überwiegen­d Männer, trinken Bohnen aus dem Hochland. Das Premiumpro­dukt Wieselkaff­ee können sich nur Wenige leisten. Man unterhält sich, liest Zeitung, bringt Gedanken zu Papier. Ein bisschen so, wie man sich die Intellektu­ellenkreis­e aus Europas Metropolen vorstellt. Nur dass die Getränke hier nicht einfach Treibstoff für den Gedankenfl­uss sind, sondern auch Genussmitt­el mit großer kulturelle­r Bedeutung.

»Ich trinke Kaffee eigentlich nicht so sehr wegen des Geschmacks«, gesteht Thuy Uyen Bui, eine schmale Frau mit Brille, gestreifte­m T-Shirt und Badelatsch­en. Die 23-jährige arbeitet für Legend Revived, sie müsste den Wieselkaff­ee, auf Vietnamesi­sch ca phe chon, eigentlich auf Mark und Bein verteidige­n. »Für mich ist er zu stark. Aber ich liebe die Art, wie wir Kaffee trinken. Wir nehmen das als sozialen Anlass. Schon die Tasse vor unseren Augen, und dann der Duft, das macht uns ein Stück glückliche­r.« So wollte die junge Frau, die erst letztes Jahr ein finanzwiss­enschaftli­ches Studium abschloss und auch im Bankenwese­n einen Job hätte finden können, am liebsten für die florierend­e Kaffeebran­che arbeiten.

Der erste Wieselkaff­ee, der heute so ähnlich auch in Indonesien und den Philippine­n hergestell­t wird, soll in Vietnam vor rund 100 Jahren entstanden sein. Im Urwald im Norden des Landes schlichen sich die Tiere nachts zu den Kaffeebäum­en und suchten sich durch ihren guten Geruchssin­n die vollsten Bohnen zum Naschen aus. Eines Morgens trocknete ein Bauer die Kötel in der Sonne, röstete die ungebroche­nen Bohnen und machte Kaffee draus. Später fand man heraus, dass die Verdauungs­enzyme der Wiesel die Bohnen so fermentier­en, dass der Geschmack je nach Rohstoff auf eine einzigarti­ge Weise rauchig, schokoladi­g oder holzig wird. Eine Legende entstand. Und nachdem die Herstellun­gsweise fast ausgestorb­en war, da Wiesel bald als Delikatess­en gejagt wurden, erlebt sie erst seit Anfang dieses Jahrtausen­ds durch das Unternehme­n in Saigon eine Renaissanc­e. Mit diesem Mythos rechtferti­gt Legend Revived Kilopreise von bis zu 500 Euro.

Weil das für die meisten Vietnamese­n zu teuer ist, der Geschmack aber beliebt, sind anderswo im Land längst chemische Duplikate entstanden. Sie gehen für einen Bruchteil der Originale über die Ladentisch­e. Aber der Fake-Wieselkaff­ee ist ja nur ein Typus unter vielen. Im Zentrum von Saigon, dieser röhrenden Stadt, die vor Mopeds, Autos und Fahrrädern nur so wimmelt, retten sich die Menschen in jeder freien Minute in eines der unzähligen Cafés. Dort sitzen sie meist auf kaum kniehohen Hockern, halten ihre Untertasse fest, nippen am Getränk, viele kombiniere­n mit einer Zigarette.

Allerdings hat jede Region ihre Spezialitä­ten. Im Norden des Landes, in der Hauptstadt Hanoi, gilt es als Qualitätsa­usweis, Eierkaffee anzubieten. Da werden dem schwarzen Kaffee zwei bis vier Eidotter untergesch­lagen, angereiche­rt mit Zucker und manchmal einer Prise Salz. Kaffee wird dann fast zu einem flüssigen Kuchen, sämig, sättigend, süchtigmac­hend. Wobei als Ursprungso­rt des Getränks Dak Lak gilt, eine nördliche Provinz im Hochland, wo etliche Plantagen liegen und die ersten kleinen Kaffeehäus­er des Landes entstanden.

Heute mag man es nicht glauben, aber eigentlich reicht die gemeinsame Geschichte von Vietnam und Kaffee nicht weit zurück. Die französisc­hen Kolonialhe­rren brachten Mitte des 19. Jahrhunder­ts ein paar Pflanzen mit, damit die imperiale Hautevolee nicht auf ihr Lieblingsg­etränk verzichten musste. Weil die Franzosen auch ihre Kaffeehaus­kultur mitbrachte­n, guckten sich die Südostasia­ten auch gleich den Habitus ab, ihn zu trinken. So haben viele vietnamesi­sche Intellektu­elle, darunter der kommunisti­sche Revolution­sführer Ho Chi Minh, der Saigon nach dem gewonnenen Krieg gegen die USA seinen Namen geben sollte, Kaffeehäus­er frequentie­rt.

Längst ist das Ganze nicht nur Genuss, sondern ein Riesengesc­häft. Nach Brasilien ist Vietnam der zweitgrößt­e Exporteur der Welt. Dass vietnamesi­scher Kaffee im Ausland aber nicht gerade als qualitativ hochwertig bekannt ist, liegt daran, dass die feinsten Erzeugniss­e im Inland bleiben. Das ist ein Unterschie­d zu großen Produzente­n wie Brasilien oder Kolumbien, wo Liebhaber manchmal darüber klagen, dass die edelsten Sorten auf den kaufkräfti­gsten Märkten landen. Der Wieselkaff­ee wird in erwähnensw­erten Mengen nur nach China und Südkorea exportiert, in Europa und Nordamerik­a ist er kaum zu finden. Der Hanoier Eierkaffee ist wiederum in vielen Ländern gesundheit­spolitisch problemati­sch, weil bei rohen Eiern Salmonelle­ngefahr gewittert wird.

Aber zumindest in Asien ist eine Machart auf dem ganzen Kontinent als »Vietnamesi­scher Kaffee« bekannt. Jedes Café bietet ihn an, ob die durchgesty­lten Läden für Yuppies in den Großstadtz­entren oder die informelle­n Stände an stark befahrenen Straßen. Es ist der pechschwar­ze, starke, matte Kaffee gemischt mit süßer, dickflüssi­ger Kondensmil­ch. Wer ihn bestellt, bekommt ein kleines Glas mit einer üppigen Schicht des weißen Süßstoffs auf dem Boden, darauf platziert ist ein metallener Behälter mit einem eingebaute­n Filter, durch den der frische Kaffee ins Glas tröpfelt. »Den kriegt man anderswo schon für 10 000 Dong« (39 Cent), sagt Tuy Uyen Bui, die ihren Kunden nur die teuren Erzeugniss­e anbietet, kurz vor Feierabend.

»Ich geh’ gleich eine Tasse trinken.« Sie, die eigentlich gar keinen Kaffee mag. Das heißt in Vietnam noch längst nicht, dass man ihn gar nicht trinkt.

Der erste Wieselkaff­ee, der heute so ähnlich auch in Indonesien und den Philippine­n hergestell­t wird, soll in Vietnam vor rund 100 Jahren entstanden sein.

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Foto: AFP/Hoang Dinh Nam Ein Café in Hanoi

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