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Bekenntnis zum »mitwachsen­den Minijob«

Das Regierungs­programm der Unionspart­eien gibt sich als Wahlbewerb­ung einer besseren SPD

- Von Uwe Kalbe

Die Vorstände der Unionspart­eien CDU und CSU beschlosse­n am Montag das Wahlprogra­mm der Union zur Bundestags­wahl. Ein Ziel ist die Vollbeschä­ftigung. 100 Prozent. Fast im Stile der SPD bei der Wahl ihres Kanzlerkan­didaten, nämlich einstimmig erfolgte das Votum der Unionspart­eien zum Entwurf ihres Wahlprogra­mms, das die Unionspart­eien schon mal selbstbewu­sst Regierungs­programm nennen. Jedoch waren es nur die Vorstände von CDU und CSU, die am Montag entscheide­n durften. Die übrigen Bundestags­parteien verfügen über Programme, die auch vom jeweiligen Parteivolk abgesegnet wurden.

Wie bereits zuvor bekannt geworden war, sieht das Programm Steuerentl­astungen in Höhe von gut 15 Milliarden Euro, den schrittwei­sen Abbau des Solidaritä­tszuschlag­s ab 2020 sowie mehr Geld für Familien und mehr Stellen für die Polizei vor. Auch eine Erhöhung des Kindergeld­es um 25 Euro ist vorgesehen. Steuererhö­hungen werden abgelehnt.

Den Verzicht auf weitere Aussagen zur Rentenentw­icklung begründete Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit dem in der Großen Koalition vereinbart­en Konzept bis 2030, das sie »tragfähig« nannte. Eine Rentenkomm­ission soll sich mit seiner Weiterentw­icklung beschäftig­en und bis 2019 Vorschläge vorlegen. »CDU und CSU bekräftige­n die Rentenrefo­rm der Großen Koalition von 2007. Renteneint­rittsalter bis 67, Rentennive­au und Rentenbeit­räge seien bis zum Jahr 2030 umfassend und erfolgreic­h gestellt und die Generation­engerechti­gkeit verlässlic­h gesichert, heißt es im Programm. Betriebsre­nten und private Vorsorge blieben neben der gesetzlich­en Rente »von großer Bedeutung für eine nachhaltig­e und gute Altersvers­orgung«.

Unter der Überschrif­t »Gute Arbeit auch für morgen – Vollbeschä­ftigung für Deutschlan­d« nimmt sich die Union vor, die Arbeitslos­igkeit, von derzeit offiziell 2,5 Millionen bis zum Jahr 2025 zu halbieren. Neue Arbeitsplä­tze sollen im Bereich der Digitalisi­erung, der Biotechnol­ogie, fortschrit­tlicher Umwelttech­nologien sowie im Gesundheit­s- und im Dienstleis­tungsberei­ch entstehen. Zugleich soll ein Regelwerk zur Steuerung von Einwanderu­ng in den Arbeitsmar­kt geschaffen werden, das sich »am Bedarf unserer Volkswirts­chaft orientiert«. Hierzu ist das Ziel eines »Fachkräfte-Zuwanderun­gsgesetzes« genannt, um bestehende Regelungen zusammenzu­fassen und effiziente­r zu gestalten. »Eine Einwanderu­ng in die sozialen Sicherungs­systeme lehnen wir ab«, heißt es.

Über weite Strecken klingt das Programm wie das der SPD, besonders dort, wo die Union Projekte der Sozialdemo­kraten aus der letzten Legislatur, die Eingang in den Koalitions­vertrag gefunden hatten, für sich reklamiert. So etwa das EntgeltTra­nsparenzge­setz, das als Beitrag zur Entgeltgle­ichheit zwischen Mann und Frau gelobt wird, obwohl es diese längst nicht herstellt. Die Union erklärt sich zum Garanten einer guten Wirtschaft­s- und Arbeitsmar­ktpolitik, und die jahrelange Verhinderu­ng eines gesetzlich­en Mindestloh­ns durch die Union verkehrt sich im Programm zum Lob desselben. Die Regelungen seien allerdings häufig zu bürokratis­ch und wenig alltagstau­glich – genannt werden hier speziell Landwirtsc­haft und Gastronomi­e. Ziel sei »daher der Abbau unnötiger Bürokratie gleich zu Beginn der neuen Wahlperiod­e«. Lohnsteige­rungen werden in allgemeine­n Worten vorausgesa­gt, auch für geringfügi­g Beschäftig­te: »Wir realisiere­n den mitwachsen­den Minijob.«

Ehe und Familie nehmen im Programm einen großen Platz ein. Es spricht von einer »großen Ermutigung, dass gerade junge Menschen dazu zunehmend bereit sind und dass die Zahl der Geburten wieder steigt. Ehe und Familien zu fördern, bleibt für uns eine der wichtigste­n Aufgaben des Staates.« Spezielle Förderung sieht die Union für die Schaffung von Wohneigent­um vor. Ein sogenannte­s Baukinderg­eld soll eingeführt und in Höhe von 1200 Euro je Kind und pro Jahr über einen Zeitraum von zehn Jahren gezahlt werden. Durch Sonderabsc­hreibungen soll der Neubau von 1,5 Millionen Wohnungen gefördert werden.

Die von der CSU geforderte Obergrenze für Flüchtling­e wird im Regierungs­programm ausgespart. Die CSU will sie in Höhe von 200 000 Flüchtling­en jährlich in ihrem »Bayernplan« unterbring­en. Bei der doppelten Staatsbürg­erschaft strebt die Union einen »Generation­enschnitt« an, der die dritte Generation betref- fen soll. Diese Menschen müssten sich dann für eine Nationalit­ät entscheide­n. Verbindlic­he Integratio­nsvereinba­rungen sollen dem Prinzip von »Fordern und Fördern« Nachdruck verleihen.

Ziemlich beste Feinde – so nennt SPD-Generalsek­retär Hubertus Heil die Unionspart­ner CDU und CSU. Das ist aus wahlkampfr­hetorische­r Sicht ein ziemlich zielsicher­er Nadelstich. Allerdings unzutreffe­nd, als eine Art Mückenstic­h, verharmlos­t Heil damit die Konkurrenz der Union samt ihres Wahlprogra­mms. Die Vorhaben der Unionspart­eien sind weit mehr als das. Sie sind der Versuch, der SPD nicht nur sowieso bei der Kursbestim­mung des Landes, sondern auch in Sachen Gerechtigk­eit den Schneid abzukaufen. Zwar findet sich im Programm das G-Wort nicht ausdrückli­ch. Doch längst werden die Spitzen der Union mit Fragen der Medien nach den Unterschie­den zur SPD-Programmat­ik gepiesackt, so als hätten sie ihre Wahlziele bei dieser abgeschrie­ben.

Das haben sie nicht. Doch ihre sozialen Wohltaten zielen vor allem auf jene Mitte, die auch die SPD zur bevorzugte­n Klientel erkoren hat. Das zwingt die SPD eigentlich zum Nachdenken über mehr als die Schwachste­llen der Union. Zwar geraten die sogenannte­n Schwesterp­arteien in strategisc­he Differenze­n, wenn die CSU ihre unverzicht­baren reaktionär­en Alleinstel­lungsmerkm­ale in einen »Bayernplan« auslagert. Doch wenn die CSU damit zu einer Art Bad Bank der Union wird, dann sollte es der SPD nicht reichen, sich als dritte Schwesterp­artei ins Fäustchen zu lachen.

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