Im Korsett der Wettbewerbslogik
Gipfeltreffen à la G7 oder G20 können erfolgreich sein – wirtschaftspolitische Vorgaben stehen dem entgegen
Während der Finanzkrise ruhten große Hoffnungen auf der »Gruppe der 20«. Einige wurden erfüllt, aber sehr viele enttäuscht. Der große Regulierungswurf jedenfalls ist der G20 nicht gelungen. Die Großen der Weltpolitik haben sich zwar noch nie in Hamburg getroffen, doch einen Bezug gibt es durchaus: Der Erfinder dieses – in der Sprache der Politiker – »Formats« stammt nämlich aus der Hansestadt: Helmut Schmidt, der im November verstorbene Altkanzler und, so eine Lokalzeitung, »Weltpolitiker«.
Schmidt und sein konservativer Vertrauter, der französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing, gewannen ihre Amtskollegen in Washington, Tokio, London und Rom für ein erstes Gipfeltreffen. Es war dem »desolaten Zustand der Weltwirtschaft gewidmet«, schrieb der SPD-Politiker in seinen Erinnerungen. Die »Gruppe der 6« (G6) traf sich erstmals am 17. November 1975 auf Schloss Rambouillet südlich von Paris. Seither wurden die informellen Weltwirtschaftsgipfel zu einer festen Einrichtung, als G7 mit Japan oder gar G8 mit Russland, seit einem Jahrzehnt auch als G20 mit führenden Schwellenländern.
Schmidts Idee: Die Staats- und Regierungschefs müssen »notgedrungen« selber sprechen und einander antworten. Durch die Kollegen von anderen Kontinenten seien sie gezwungen, sich »die weltweite politische Gesamtverantwortung« vor Augen zu führen. Ähnliches gebe es im normalen diplomatischen Verkehr nämlich nicht.
Was als intime Kamingespräche begann, wuchs sich zu einem globalisierten Medien-Event aus. Das beklagte schon 1996 Helmut Schmidt: Der intime Charakter sei leider zugunsten »der nationalen Bürokratien«, die in großer Zahl an den Gipfeln teilnehmen, und »des Fernsehens« verloren gegangen.
Geblieben sind die Krisen und die Gipfeltreffen. Im Angesicht der großen Finanzkrise hatte sich kurz nach dem Crash der US-Investmentbank Lehman Brothers im November 2008 eine Gruppe von 19 wirtschaftlich und politisch führenden Industrie- und Schwellenländern plus der Europäischen Union zusammengefunden, um Pläne zur Lösung der drängenden globalen Probleme zu schmieden. Die G20 hat sich seitdem »zum führenden Format der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit« in den Bereichen Finanz- und Wirtschaftspolitik entwickelt, heißt es zumindest im Bundeswirtschaftsministerium.
Durchaus mit Erfolg, wie Ökonomen anmerken: »In einer immer vernetzteren Welt muss man die wichtigsten Akteure an einen Tisch bringen«, fasst Friedrich Thießen, Kapi- talmarktexperte an der TU Chemnitz, gegenüber »nd« zusammen. Das bleibe »der Sinn« der G20.
Kurz nach dem Lehman-Schock legte der Gipfel in Washington die Basis für gemeinsame Antworten auf den drohenden GAU der Weltwirtschaft. Anders als in den 1930er Jahren, als Notenbanken und Regierungen falsch reagiert und die Krise noch verschärft hatten, drehten die US-amerikanische Fed, Europäische Zentralbank und andere Notenbanken den Geldhahn auf. Gleichzeitig starteten viele Regierungen milliardenschwere Rettungsprogramme. Zwar war manches wie die Abwrackprämie oder das Infrastrukturprogramm in Deutschland »mehr Symbolpolitik«, meint Michael Grömling vom unternehmensnahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln. So rollten die Bagger erst in den Folgejahren. Doch Ökonomie ist nun einmal zur Hälfte Psychologie.
Die G20-Gipfel von London und Pittsburgh 2009 schienen dann den Pfad zu beschreiten, die entfesselten Finanzmärkte wieder einzuhegen. »Ein maßloser Kapitalismus, wie wir ihn hier erlebt haben mit all seiner Gier, frisst sich am Ende selbst auf«, mahnte der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück. Am Ende rettete man in Westeuropa hauptsächlich die Banken mit Steuergeldern, was zur Staatsschuldenkrise führte.
In den USA ging man rigoroser vor – mit dem »Dodd-Frank Act« wurden Banken und Fonds an die Kette gelegt. Und Präsident Barack Obama bat die Banken für die teuren staatlichen Rettungspakete zur Kasse.
Auf internationaler Ebene wurden die Eigenkapitalanforderungen an die Banken verschärft, besonders riskante Geschäftspraktiken wie Leerverkäufe eingeschränkt und die Ratingagenturen, die die Probleme durch blauäugig gute Bonitätsnoten mit herbeiführten und die Krise dann noch verschärften, verloren an Einfluss. »Allerdings«, kritisiert Peter Wahl, Vorstand des globalisierungskritischen Vereins Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung gegenüber »nd«, »haben inzwischen die geopolitischen Umbrüche so viele Widersprüche und Interessenskonflikte aufbrechen lassen, dass das Unternehmen zunehmend wirkungslos wird.«
Tatsächlich ist ein Jahrzehnt nach Ausbruch der Krise der große Regulierungswurf ausgeblieben. Der Versuch, mit »Basel III« einen globalen Regulierungsrahmen zu schaffen, der verhindert, dass zu große Banken Staaten erpressen können (»too big to fail«), steckt fest. Seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten droht zudem auf dem weltweit wichtigsten Finanzmarkt ein Roll-back Richtung erneuter Deregulierung.
Hier ziehen die G20-Staaten also nicht mehr an einem Strang. Was auch für die Wirtschaftspolitik gilt: Während Deutschland auf »Austeri- tät« und Sparpolitik setzt, versucht Chinas asiatischer Gegenspieler Japan durch milliardenschwere Konjunkturprogramme seine Wirtschaft anzukurbeln.
Zum Kerngeschäft der G20 gehört die Fiskalpolitik. Vor dem HamburgGipfel unterzeichneten Mitte Juni über 60 Staaten einen völkerrechtlichen Vertrag, der die aggressive Steuergestaltung von Konzernen über Briefkastenfirmen erschweren wird.
Die Austrocknung von OffshoreFinanzplätzen und Steuersümpfen ist dagegen weitgehend misslungen. Inzwischen stehen kaum noch Staaten auf der Schwarzen Liste der OECD, was aber nur auf einen politischen Taschenspielertrick zurückzuführen ist: Es wird unterschieden zwischen Steueroasen (böse) und Niedrigsteuerländern (gut). Eine Steueroase sei ein Ort, wo die globalen Standards nicht eingehalten werden, erklärte EU-Kommissar Pierre Moscovici im Interview mit einer Schweizer Zeitung. Dass Irland eine sehr tiefe Unternehmenssteuer habe, sei okay. »Wettbewerbsfähig zu sein, ist gut, aber man muss die Spielregeln einhalten.«
Angesichts solcher Wettbewerbslogik werden Fortschritte schwer zu erzielen sein. »Aber man sollte es probieren und das Event in Hamburg nutzen«, fordert Peter Wahl. Um Öffentlichkeit zu erzeugen und Druck von unten aufzubauen.
Der Gipfel der Staatsund Regierungschefs der G20-Staaten ist eine Notgeburt aus der Zeit der Finanzkrise 2008. Auf Aktionismus folgte schon bald weitgehender Stillstand. Neben der G20 mischen auch viele andere Staatengruppen in der internationalen Wirtschaftspolitik mit. »In einer immer vernetzteren Welt muss man die wichtigsten Akteure an einen Tisch bringen.« Friedrich Thießen, TU Chemnitz