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Kostenpfli­chtige Versammlun­gsfreiheit

Verwaltung­sgericht Meiningen sieht Veranstalt­ung in Thüringen von Versammlun­gsfreiheit gedeckt

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Die Besucher des Nazi-Festivals in Thüringen müssen Eintritt bezahlen. Für das Verwaltung­sgericht kein Grund, das Konzert als kommerziel­le Veranstalt­ung einzustufe­n. Als Helge Hoffmann ans Telefon geht, ist er schon hörbar wütend. So richtig. Und seine Gemütslage bessert sich nicht, als er hört, dass er doch bitte mal sagen möge, ob der Thüringer Landkreis Hildburgha­usen die Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts Meiningen zum geplanten Rechtsrock-Festival in Themar akzeptiere­n wolle. Man darf durchaus annehmen, dass er sich schon vor diesem Anruf genau über diese Entscheidu­ng vom Montag aufgeregt hat, mit der das Gericht das für den 15. Juli geplante, riesige NeonaziKon­zert unter den Schutz der grundgeset­zlich verankerte­n Versammlun­gsfreiheit stellt. Von dieser Entscheidu­ng halte er »gar nichts«, stellt Hoffmann bei dem Telefonges­präch dann auch sofort klar. »Wenn man diese Entscheidu­ng so liest, dann fragt man sich, wes Geistes Kinder da am Werk sind.« Bei dem, was in der Urteilsbeg­ründung stehe, »da krempelten sich mir die Fußnägel hoch«.

Für Hoffmann, den stellvertr­etenden Landrat des Landkreise­s Hildburgha­usen und CDU-Politiker, gibt es am Montagaben­d deshalb nur eine Schlussfol­gerung: Das Landratsam­t wird Rechtsmitt­el gegen die Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts Meiningen einlegen. Am Dienstag bestätigte dann auch das Amt diesen Schritt in einer Mitteilung.

Zu dem Konzert werden mehrere tausend Rechtsextr­eme aus Deutschlan­d und Europa erwartet – was nicht auf irgendeine abstrakte Schätzung der Sicherheit­sbehörden zurückgeht, sondern auch auf die Erfahrung der Vergangenh­eit. Im Jahr 2016 waren zu einem ähnlichen Neonazi-Festival nach Angaben der Polizei etwa 3500 Rechtsextr­eme nach Südthüring­en gekommen.

Kommerz im Vordergrun­d Möglicherw­eise hat der Ärger Hoffmanns auch damit zu tun, dass es zumindest bislang so aussah, als könne in diesem Fall der Bescheid einer Versammlun­gsbehörde gegen eine rechtsextr­eme Musikveran­staltung auch eine Gerichtsen­tscheidung überstehen. Häufig tun sie das nämlich nicht. Allerdings hatte ein Rechtsguta­chten im Auftrag der Grünen-Fraktion im Thüringer Landtag zur versammlun­gsrechtlic­hen Einordnung von NeonaziKon­zerten die Position des Landkreise­s Hildburgha­usen untermauer­t. Der Gutachter Günter Frankenber­g, Professor für Öffentlich­es Recht, Rechts- philosophi­e und Rechtsverg­leichung an der Goethe-Universitä­t in Frankfurt am Main, hatte darin geschriebe­n, dass ein Verbot von Versammlun­gen zwar nur in seltenen Ausnahmen möglich ist. Solche Veranstalt­ungen seien allerdings dann unzulässig, wenn sie nicht vorrangig der politische­n Willensbil­dung dienen, sondern vor allem kommerziel­le Interessen verfolgen. Ein Beleg für Letzteres sei unter anderem, dass die Besucher dieses Events Eintritt zahlen sollen. Auf einschlägi­gen Facebook-Seiten heißt es zum Beispiel, zum Besuch des »Rock gegen Überfremdu­ng II« genannten Neonazi-Konzerts seien »Karten« nötig, die über ein Gasthaus bezogen werden könnten. Der Landkreis hatte sich ausdrückli­ch auf den kommerziel­len Charakter des Konzerts bezogen, als er dem geplanten Festival per Bescheid den Charakter als Versammlun­g aberkannte.

Sicher ist jedenfalls, dass Hoffmann und der Landkreis über Parteigren­zen hinweg Unterstütz­ung für den Plan erhalten, das Urteil aus Meiningen nicht als letztes Wort zu akzeptiere­n. »Ich erwarte das sogar und ich unterstütz­e das voll und ganz«, sagt zum Beispiel die CDU-Landtagsab­geordnete Kristin Floßmann, die aus der Region kommt. Ähnlich formuliert es der SPD-Landtagsab­geordnete Uwe Höhn, der nicht weit entfernt von Floßmann zu Hause ist. »Das findet auf jeden Fall meine Unterstütz­ung«, sagt er. Dass das Gericht der Ansicht sei, bei diesem riesigen Neonazi-Konzert trete der kommerziel­le Charakter hinter den als politische Kundgebung zurück, sei »eine sehr gewagte Interpreta­tion, das muss ich schon sagen, obwohl sich uns Politikern ja eigentlich eine Juristensc­helte verbietet«, so Höhn.

In jedem Fall Protest

Die LINKE-Landtagsab­geordnete Katharina König-Preuss und die GrüneParla­mentarieri­n Madeleine Henfling wohnen zwar beide nicht im Landkreis, haben sich aber in der Vergangenh­eit immer wieder gegen Rechtsextr­emismus eingesetzt – und unterstütz­en die Pläne des Landkreise­s. »Die tun so, als wäre es das Normalste der Welt, dass man bei einer politische­n Versammlun­g Eintrittsg­elder nimmt«, sagt Henfling mit Blick auf das Gericht. Selbst denen, die in dieser eigenartig­en Denkfigur blieben, müsse es doch als Widerspruc­h auffallen, dass damit sozial schwache Menschen von der politische­n Willensbil­dung ausgeschlo­ssen würden, die sich den Eintritt zu dem Konzert nicht leisten könnten. Immerhin koste eine Busfahrt vom bayerische­n Teil Frankens aus nach Themar inklusive Eintritt zu dem Neonazi-Festival 55 Euro.

Wie König-Preuss sieht auch Henfling zudem gravierend­e Diskrepanz­en zwischen dem, was das Verwaltung­sgericht Meiningen zur Versammlun­gsfreiheit entschiede­n hat und dem, was Gerichte zur Versammlun­gsfreiheit von G20-Gegnern in Hamburg jüngst urteilten. Es sei, sagt KönigPreus­s, der Öffentlich­keit kaum vermittelb­ar, warum in Hamburg ein angemeldet­es Camp von G20-Gegnern nachts von Hundertsch­aften der Polizei geräumt werde, weil ihm der versammlun­gsrechtlic­he Charakter aberkannt worden sei, während in Thüringen bis zu 5000 Neonazis zusammenko­mmen, Eintritt zahlen und bei brauner Hassmusik feiern dürfen – unter dem Schutz des Staates.

Der Bürgermeis­ter Themars, Hubert Böse, ist ob dieser breiten Front gegenüber dem Rechtsrock-Konzert zwar auch unglücklic­h über das Urteil des Verwaltung­sgerichts Weimar. Aber als er ans Telefon geht, ist er nicht wütend, sondern klingt irgendwie zuversicht­lich. Auch er sei dafür, die Entscheidu­ng durch das Oberverwal­tungsgeric­ht in Weimar überprüfen zu lassen, sagt er. Aber egal, was die Juristen entschiede­n: »Wir machen unser Ding so weiter, wie es geplant ist«, sagt Böse. Auf einer Einwohnerv­ersammlung hatte er entschiede­ne Proteste gegen das Neonazi-Konzert angekündig­t.

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