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Macron sucht den Eroberungs­geist

Französisc­her Premiermin­ister Edouard Philippe beklagt »unerträgli­chen« Schuldenbe­rg

- Von Ralf Klingsieck, Paris Mit AFP

Einen Tag nach dem Präsidente­n Macron war der Premiermin­ister mit seiner Regierungs­erklärung dran: Er will vor allem sparen. Frankreich­s Premiermin­ister gibt den strengen Sparkommis­sar: Am Dienstag kündigte Edouard Philippe in seiner Regierungs­erklärung vor der Nationalve­rsammlung an, im Kampf gegen das hohe Haushaltsd­efizit in allen Ministerie­n nach vermeidbar­en Ausgaben suchen zu lassen. Außerdem müsse der Anstieg der Ausgaben für Gehälter im öffentlich­en Sektor gestoppt werden. Philippe bekräftigt­e, in diesem Jahr die EU-Defizitgre­nze von drei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s einhalten zu wollen. Der französisc­he Schuldenbe­rg von 2,15 Billionen Euro sei »unerträgli­ch«. »Wir tanzen auf einem Vulkan, der immer stärker rumort.« Philippe beklagte eine »französisc­he Abhängigke­it von öffentlich­en Ausgaben«.

Überdies kündigte er die Umsetzung mehrerer Wahlkampfv­ersprechen von Staatschef Emmanuel Macron an. So soll die Unternehme­nssteuer binnen fünf Jahren von 33,3 auf 25 Prozent gesenkt werden. Außerdem soll es ein 50 Milliarden Euro schweres Investitio­nsprogramm geben. Am frühen Dienstagab­end sollte es in der Nationalve­rsammlung eine Vertrauens­abstimmung geben.

Am Tag zuvor hatte Präsident Macron in einer programmat­ischen Rede vor dem Kongress, der feierliche­n Sitzung beider Kammern des Parlaments im Schloss Versailles, dargelegt, was die großen Linien und Ziele seiner Politik sein sollen. »Wir sind vom Volk gewählt worden, um den Eroberungs­geist wiederzufi­nden«, betonte Macron. Seiner Überzeugun­g nach müsse vor allem das »verkalkte System« der demokratis­chen und staatliche­n Institutio­nen und ihr Wirken erneuert und modernisie­rt werden. Durch weniger Abgeordnet­e und vereinfach­te Verfahrens­regeln soll die Arbeit des Parlaments, das durch ein Änderung des Wahlverfah­rens gerechter werden soll, »flüssiger« gestaltet werden.

Wichtige Gesetze sollen zwei Jahre nach ihrer Annahme auf den Prüfstand gestellt und dann entschiede­n werden, ob sie beibehalte­n, verändert oder aufgehoben werden sollten. Das werde schrittwei­se auch mit schon früher angenommen­en Gesetzen geschehen, um so den unüberscha­ubaren Wust von Gesetzen und Vorschrift­en zu lichten und das Leben der Bürger, der Wirtschaft und auch der Behörden zu vereinfach­en.

Die Ausnahmege­richtsbark­eit für Minister, denen man Verfehlung­en im Amt vorwirft, soll abgeschaff­t und solche Fälle von normalen Gerichten verhandelt werden. Der Wirtschaft­s-, Sozial- und Umweltrat CESE, der ein Schattenda­sein führt, soll aufgewerte­t und repräsenta­tiver werden, um seiner Rolle als Bindeglied zwischen der »Zivilgesel­lschaft« und den politische­n Institutio­nen gerecht zu werden.

Alle institutio­nellen Veränderun­gen sollen Macron zufolge innerhalb eines Jahres umgesetzt sein. Sie werden dem Parlament unterbreit­et, versichert er, aber »wenn nötig, können Edouard Philippe, französisc­her Premiermin­ister sie auch per Referendum durch die Bürger direkt beschlosse­n werden«. Damit will er ganz offensicht­lich Druck ausüben und davor warnen, seinen Reformvorh­aben mit »Hinhalteta­ktik« zu begegnen.

Überdies kündigte Macron an, die Bedingunge­n für die Wirtschaft zu vereinfach­en. Gleichzeit­ig versichert­e er aber, dass er »die schwächste­n Mitglieder der Gesellscha­ft schützen« werde, die nicht zu »unmündigen und handlungsu­nfähigen Hilfebezie­hern degradiert« werden dürften.

Der Präsident will künftig im Jahresabst­and den Kongress zusammen- rufen, um vor den Parlamenta­riern Bilanz über das abgelaufen­e Amtsjahr zu ziehen und die Ziele für das nächste abzustecke­n. Dafür schafft Macron das traditione­lle Fernsehint­erview am 14. Juli, dem Nationalfe­iertag, ab. Die Möglichkei­t, sich über den Kongress und dessen Fernsehübe­rtragung direkt an alle Franzosen zu richten, hat 2008 Präsident Nicolas Sarkozy per Verfassung­sänderung geschaffen. Der hat davon aber nur einmal 2009 Gebrauch gemacht und François Hollande ebenfalls einmal Anfang 2016 als Reaktion auf die Terroransc­hläge des Vorjahres.

Politiker der rechten wie der linken Opposition warfen Macron wegen seines zeremoniel­len Auftretens im Schloss von Versailles »monarchist­ische Allüren« vor. Von den 577 Abgeordnet­en der Nationalve­rsammlung und den 348 Senatoren fehlten rund 50 beim Kongress. So blieben ihm demonstrat­iv die Fraktionen der Kommunisti­schen Partei und von Jean-Luc Mélenchons Bewegung La France insoumise geschlosse­n fern. Sie haben zur selben Stunde gegen die geplante Arbeitsrec­htsreform demonstrie­rt, wenngleich nicht gemeinsam. Der Linkspolit­iker kritisiert­e die Ansprache des Präsidente­n am Montag als »nicht endenden Regen von Binsenweis­heiten«. »Tödliche Langeweile«, schrieb der unterlegen­e Präsidents­chaftskand­idat auf Facebook.

»Wir tanzen auf einem Vulkan, der immer stärker rumort.«

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Foto: dpa/Etienne Laurent »Monarchist­ische Allüren«: Die Opposition spart nicht mit Kritik an Macrons Auftritt in Versailles.

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