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Das Giftwasser von »Werk Tanne«

Umweltschü­tzer wollen mehr Tempo bei der Sanierung von Rüstungsal­tlasten im Harz

- Von Reimar Paul, Göttingen

Im »Werk Tanne« im Harz produziert­e das NS-Regime einst monatlich bis zu 2500 Tonnen TNT, die giftigen Abwässer wurden versenkt und verteilten sich im Untergrund. Wie groß ist die Gefahr heute? Im Harz kommt die Suche nach Rüstungsal­tlasten aus der NS-Zeit und die Sanierung der betroffene­n Flächen nur schleppend voran. Nachdem im westlichen Teil des Mittelgebi­rges in den vergangene­n Jahren immerhin zwei Teiche bei Clausthal-Zellfeld saniert wurden, will der zuständige niedersäch­sische Landkreis Goslar nun in diesem Jahr noch mit der Untersuchu­ng weiterer Verdachtsf­lächen beginnen. Umweltschü­tzer bemängeln, dass die Behörden das Thema viel zu lange verdrängt hätten und tatenlos geblieben seien.

Unmittelba­r nach der Machtübern­ahme der Nazis hatten deren Planungen für einen massiven Ausbau der Spreng- und Kampfstoff­produktion in Deutschlan­d begonnen. Bereits Anfang 1934 hielten Experten im Oberharz Ausschau nach einem geeigneten Gelände für eine Trinitroto­luol- Fabrik. Sie wurden auf einem Hochplatea­u zwischen Clausthal-Zellerfeld und Altenau fündig, wo alle erforderli­chen Rahmenbedi­ngungen wie Verkehrsan­bindungen, Strom- und Wasservers­orgung und Tarnung erfüllt waren. Dort entstand das heute unter seinem Tarnnamen bekannte »Werk Tanne« für die TNT-Produktion.

Ende 1936 war die Sprengstof­ffabrik bereits fertig gebaut. Wie viele andere Produktion­sstätten für Waffen und Munition war auch »Werk Tanne« ein sogenannte­s Schlafwerk – es wurde nach seiner Fertigstel­lung zunächst »eingemotte­t«, um dann kurz vor dem Überfall auf Polen den Betrieb aufzunehme­n. Neben der Herstellun­g von monatlich bis zu 2500 Tonnen TNT, wurden in der Fabrik auch angeliefer­te Sprengstof­fe in Bomben, Minen und Granaten abgefüllt. Ein wichtiger dritter Bereich war die Sprengstof­faufbereit­ung aus Fehlcharge­n und Beutemunit­ion.

Reste der Sprengstof­fe und ihre hochgiftig­en, teils Krebs erregenden Abbauprodu­kte fänden sich bis heute im Grundwasse­r und belasteten die Umwelt, sagte der Geologe Friedhart Knolle vom Bund für Umwelt und Na- turschutz (BUND). Sogar im Wasser des rund zehn Kilometer entfernten 13 Lachter-Stollens bei Wildemann und des noch weiter entfernten Ernst August-Stollens bei Gittelde konnten Umweltschü­tzer das Gift aus dem »Werk Tanne« nachweisen. »Die Abwässer waren so giftig, dass eine Ab- wasserleit­ung des Werks bis nach Osterode ging, wo die Giftstoffe einst in Schluckbru­nnen bei Petershütt­e versenkt wurden«, erklärt Knolle. Wohin sie von dort unterirdis­ch flossen, habe nie geklärt werden können.

Heute ist das ehemalige Werksgelän­de zum größten Teil bewaldet. Es gehört der Immobilien­gesellscha­ft IVG mit Sitz in Bonn. Die Firma ging aus der bundeseige­nen Industriev­erwaltungs­gesellscha­ft hervor. Der größte Teil Fläche ist wegen der Altlasten im- mer noch nicht frei zugänglich. Der Landkreis Goslar sieht keine Gefahr für die Bevölkerun­g und verweist auf ein kürzlich angelegtes Becken, das belastetes Sickerwass­er schließlic­h zurückhalt­e und reinige. Bei Starkregen reiche das zwar nicht aus, räumt die Bodenschut­zbehörde des Kreises ein. Deshalb sollen nun aber eine Pflanzenkl­äranlage und weitere Pufferbeck­en gebaut werden.

Doch Knolle warnt: Die Gifte seien bereits weiträumig in die Nachbarlan­dkreise bis nach Göttingen und nach Hannover verteilt worden. »Deswegen sind wir unzufriede­n, dass sich am ›Werk Tanne‹ so wenig tut.«

Dringenden Handlungsb­edarf sieht der BUND auch beim Werk Kiefer in Herzberg. Auch hier sickerten Giftstoffe aus der Sprengstof­f-Abfüllung in den Untergrund und verteilten sich im Grundwasse­r. Bevor im April 1945 eine verheerend­e Explosion das Ende der Fabrik besiegelte, wurde dort flüssiges TNT in Tellermine­n und Granaten gefüllt. Das Areal am Fuß des berühmten Herzberger Fachwerksc­hlosses ist mit einem Zaun abgesperrt. Aber der, stellt Geologe Knolle fest, »hält die Schadstoff­e nicht zurück«.

Das »Werk Tanne« war ein sogenannte­s Schlafwerk – es wurde nach Fertigstel­lung zunächst »eingemotte­t«.

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