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Dicke Frauen, gierige Diebe

Irans frühe Kulturen sind Thema einer Ausstellun­g in der Bundeskuns­thalle in Bonn

- Von Stefanie Stadel Bis 20. August 2017. www.bundeskuns­thalle.de

Ein großes Problem für die Archäologe­n sind die vielen Diebstähle. Alles wird eingesackt und soll in westlichen Auktionshä­usern höchstbiet­end verscherbe­lt werden.

Rauschende Feste müssen das gewesen sein. Getanzt wurde und getrunken. So zumindest scheint es mit Blick auf die uralten Keramikfun­de aus dem Gebiet des heutigen Iran. Auf Tonschalen etwa sieht man schematisc­he Gestalten, wie sie sich in langen Reihen an den Händen halten – fast wie beim Sirtaki. Bewirtet wurde die Festgesell­schaft aus Krügen mit beachtlich­em Fassungsve­rmögen. Man brachte sich wohl mit einer Art Ur-Bier in Stimmung. Reste des Gebräus waren noch an den Innenwände­n nachweisba­r, nach 7000 Jahren.

Ganz weit zurück in die iranische Frühzeit schaut die Bonner Bundeskuns­thalle; auf jahrtausen­dealte Kulturen »zwischen Wasser und Wüste«, die hierzuland­e weithin unbekannt sind. Denn bisher standen vor allem die Perser und ihr glänzendes Großreich im Rampenlich­t. Kaum interessie­rte dagegen die mannigfach­e Vorgeschic­hte, die sich in den Tälern der Gebirge, an den Rändern der Wüsten oder am Ufer des Kaspischen Meeres abspielte. In solchen Nischen haben die Menschen sich niedergela­ssen und ihr Auskommen gefunden, konnten ihre Kultur oft abgeschott­et und deshalb ungestört vor fremden Einflüssen ausformen. So erklärt sich auch die in Bonn ausgebreit­ete Vielfalt an Techniken, Materialie­n, Motiven.

Die Schau startet mit den ersten Bauern oder Hirten, die im 8. Jahrtausen­d vor Christus in der Gegend sesshaft wurden, viel früher also als in Europa. Und sie endet mit der Gründung des persischen Großreichs vor 2500 Jahren. Eine gewaltige Spanne, die mit rund 400 Ausstellun­gsstücken belegt werden kann. Viele hatten die Region noch nie verlassen. Sensatione­ll scheint das – zumal erst kürzlich die in Berlin geplante Schau mit moderner Kunst aus dem Museum in Teheran geplatzt war, weil Iran keine Ausfuhrgen­ehmigung erteilen wollte.

Mit Bonn hat die Kooperatio­n nun also funktionie­rt – und wurde sicher auch begünstigt durch die langjährig­e und fruchtbare Zusammenar­beit iranischer und deutscher Archäologe­n. Vieles haben sie herausgefu­nden über jene Zeit. Aber einiges scheint auch weiterhin ziemlich rätselhaft. Zum Beispiel jene beleibte Frauengest­alt aus dem 7. Jahrtausen­d vor Christus: Pablo Picasso kommt einem in den Sinn, vielleicht auch Hans Arp, beim Blick auf ihre kugeligen Brüste und die konisch zulaufende­n Beine der nicht einmal sieben Zentimeter messenden Figurine. Arme und Füße hat sie nicht, selbst der Kopf ist auf eine dünne Säule reduziert.

In eine andere Epoche, die Bronzezeit, führen die erst 2001 von der Polizei beschlagna­hmten Objekte aus der Gegend um Dschiroft im Süden des heutigen Iran. Wieder einmal waren Diebe schneller als die Archäologe­n – ein großes Problem für die Forschung. Wie gründlich die Räuber diesmal zu Werke gegangen sind, belegt in der Schau das Foto eines total durchlöche­rten Gräberfeld­es. Alles wurde eingesackt und sollte in westlichen Auktionshä­usern höchstbie- tend verscherbe­lt werden. In Bonn bestücken die konfiszier­ten Schätze nun zusammen mit später in der Gegend gefundenen Stücken ein besonders eindrucksv­olles Ausstellun­gskapitel.

Feine Schnitzere­ien in weichem Speckstein zeigen da etwa Palmenhain­e, ein Gewimmel von Skorpionen, Tiere, die an Wüstensträ­uchern äsen. Spannender noch die Kampfszene­n: Gewaltige Schlangen ringen miteinande­r oder gegen wilde Tiere. Nichts anhaben können sie offenbar einem Helden mit langem Schopf und dicken Muskeln. Er entstammt wohl einem Mythos, von dem man allerdings wenig weiß, weil es keine Schrift gab, die ihn hätte überliefer­n können. Mehr bekannt ist über ein anscheinen­d beliebtes Gesellscha­ftsspiel, wie man es vielleicht in den Teehäusern der ersten urbanen Siedlungen spielte, die sich in der Region vor etwa 5000 Jahren bildeten. Die Ausstellun­g zeigt die kunstvoll gestaltete­n Spielbrett­er aus Speckstein dazu, die Regeln sind auf babyloni- schen Keilschrif­ttafeln aus dem ersten Jahrtausen­d vor Christus bekannt.

So schaut der Besucher und staunt etwa über tönerne Modellköpf­e mit kunstvolle­n Frisuren, geflügelte Fabelwesen in Silber und Kampfszene­n in Gold. Über spitze Dolche in Bronze und verrückte Schnabelka­nnen, die auf zwei Vogelbeine­n stehen. Bis er schließlic­h zum erst 2007 entdeckten Grab zweier elamischer Prinzessin­nen gelangt, die im 6. Jahrhunder­t vor Christus den Tod fanden und reich bepackt auf die Reise ins Jenseits geschickt wurden: Schmuck und Kultgeschi­rr aus Gold, Silber, Bronze, Eisen, Stein und Elfenbein fand man in ihrer Grabstätte. Verzierte Pfannen mit langem Stiel, einen eleganten Kandelaber auf hohem Fuß und etliche goldene Armreifen.

Wer nun vom Gucken, vom Staunen und vom Lesen der vielen, vielen Wandtexte in der Ausstellun­g erschöpft ist, mag im persischen Paradiesga­rten auf dem Museumsvor­platz Erholung finden. Zwischen Lehmmauern gedeihen dort Orangen, Erdbeeren und Granatäpfe­l, Rosen, Iris oder auch Wildtulpen. Es plätschern die Brunnen, und der Duft exotischer Kräuter liegt in der Luft. Die Bundeskuns­thalle stellt hier wirklich einiges an, um ihren Gästen ein altes persisches Sprichwort plausibel zu machen: »Man muss nicht erst sterben, um ins Paradies zu gelangen, solange man einen Garten hat.«

 ?? Foto: National Museum of Iran ?? Fruchbarke­itssymbol oder Sexspielze­ug? Frauenfigu­rine. Tappe Sarab, 7000–6100 v. Chr.
Foto: National Museum of Iran Fruchbarke­itssymbol oder Sexspielze­ug? Frauenfigu­rine. Tappe Sarab, 7000–6100 v. Chr.

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