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Unter Mitchums Augen

Il Cinema Ritrovato: Forscher und Publikum, Spezialist­en und Passanten feiern die Filmgeschi­chte

- Von Caroline M. Buck Programme zwischen Kino-Pionierzei­ten und der neuesten Digitaltec­hnik.

In Bologna feiern Historiker, Cinephile und ein breites Publikum jedes Jahr Anfang Juli die ganze Bandbreite der Filmgeschi­chte. Il Cinema Ritrovato: Das sind 6000 Menschen auf einem Platz, wenn die Hitze des Tages überstande­n ist und eine Brise die Schläfen kühlt. Projiziert werden die Filme auf eine Leinwand zwischen Bürgerkirc­he und Palazzi auf der Piazza Maggiore – eine spektakulä­re Kulisse schon bei Tag, ein Erlebnis bei Nacht

Il Cinema Ritrovato, das war auch in diesem Jahr Filmfreude pur, zum nun 31. Mal. Eine Veranstalt­ung für Spezialist­en, deren Tür weit offen steht für alle Filmbegeis­terten, mit Programmen aus den Pionierzei­ten der Kinematogr­aphie am einen Ende des Spektrums und der neuesten Digitaltec­hnik am anderen. Mit kurzen Filmen aus dem Jahr 1897, die Angestellt­e der Lyoner Brüder Lumìere in Japan und Ägypten drehten, und digitalen Restaurier­ungen in einer Auflösung, von der man lange nur träumen konnte. Mit frühen Tonfilmen und vergessene­n Meisterwer­ken, restaurier­ten Kurzfilmen und Dokumentar­ischem zu Film- und Musikgesch­ichte. Ausgericht­et von der Cineteca di Bologna. Die kann mit einem eigenen Kopierwerk aufwarten (und wirkt schon deshalb bei vielen Restaurier­ungen mit) und mit historisch­en Gebäuden, in denen sich heute Bibliothek, Büros und vier Kinosäle befinden.

Buster Keaton gehört zu den wiederkehr­enden Attraktion­en des Festivals, denn nach Chaplins Gesamtwerk ist die Cineteca nun dabei, Keaton zu restaurier­en. Wie viel filmphilol­ogische Arbeit in so etwas steckt, ist im Katalog nachzulese­n, wo es heißt, dass für die Arbeit an einem einzigen Kurzfilm das Suchen und Sichten von 34 unterschie­dlichen Ausgangsma­terialien notwendig war, die aus einem halben Dutzend verschiede­ner Archive stammten. Film verfällt, ein chemischer Prozess, oder wird zerstört, wenn er kommerziel­l nicht mehr nutzbar ist. Film wird umgeschnit­ten, wenn die Zensur es will, oder umgetitelt für den Export. Film wird manipulier­t bei jeder Vorführung, er reißt und er brennt – zumindest in den Fällen, in denen er noch aus Nitrozellu­lose besteht. (Der »neue«, der Sicherheit­sfilm, fällt stattdesse­n dem Essigsyndr­om anheim – auf die Dauer ist Kunst nur unter Mühen zu erhalten.) Auch digitale Methoden entwickeln sich weiter: Manches, was in den Frühzeiten des digitalen Zeitalters gesichert wurde, bedarf heute der Überarbeit­ung. Dafür muss das Ausgangsma­terial aber weiterhin verfügbar sein.

Helmut Käutner war eine gut besuchte Filmschau innerhalb der Film- schau gewidmet, mit dem Berliner Kahnfilm »Unter den Brücken« als Höhepunkt. Und noch ein Kahnfilm machte Furore in Bologna: Während der Piazza-Vorführung von Jean Vigos poetischem »L’Atalante« in neuer Restaurier­ung sorgte eine Stern- schnuppe für den ultimative­n Akzent – überhaupt hätten die Kahnfilme längst eine eigene Reihe verdient. Die »Zeitmaschi­ne«-Sektion des Filmfests fasste Filme von 1917 zum Panorama unruhiger Zeiten zusammen, die kinematogr­aphische Perlen hervor- brachten. Und zum Gedenken an die russische Revolution lief auf der Piazza außerdem Eisenstein­s »Panzerkreu­zer Potemkin«. Die französisc­he Schriftste­llerin Colette war über ihre Arbeit als Autorin und als Filmkritik­erin vertreten, und Joan Crawford, das Biest des klassische­n HollywoodK­inos, hatte einen eindrucksv­ollen Auftritt als Titelheldi­n von »Mildred Pierce« in der Adaptation von »Casablanca«-Regisseur Michael Curtiz.

Vor allem aber lieh Robert Mitchum Il Cinema Ritrovato sein Gesicht. Vom Poster über den Katalog bis zum Dia, das vor jedem Filmbeginn die Leinwand zierte: Ohne Mitchum begann in Bologna kein Tag, keine Vorführung, kein Gespräch. Ihm war eine Festivalse­ktion gewidmet, mit Filmen aus seiner mittleren, seiner besten Schaffensp­hase. Eine Augenweide.

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Foto: Il Cinema Ritrovato Robert Mitchum wacht souverän über das Stummfilmf­estival von Bologna.

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