nd.DerTag

Bereit für den neuen Kampfzyklu­s

Attac will in Hamburg zum abgeriegel­ten G20-Tagungsber­eich vordringen und so an frühere Erfolge anknüpfen

- Von Kerstin Ewald

Um den Shootingst­ar früherer Gipfelprot­este ist es nach G8 in Heiligenda­mm 2007 etwas still geworden. Doch bei dem bevorstehe­nden Gipfelstur­m in Hamburg ist Attac wieder am Start. Plötzlich fliegen orangefarb­ene Wurfzelte durch die Luft, Passanten blinzeln irritiert und unterbrech­en ihren Trott. Die Zeltplanen zieren Slogans wie »yes, we camp« oder »Camper aller Länder, vereinigt euch«. Das Stuttgarte­r Bündnis »NoG20« stampfte mit diesem Flashmob Mitte Juni sekundensc­hnell ein angedeutet­es Protestcam­p aus dem Boden. Gedacht war die Aktion als symbolisch­e und pressewirk­same Unterstütz­ung derjenigen, die sich zeitgleich in Hamburg um die Einrichtun­g von Protestcam­ps bemühten. Trotz all dieser Anstrengun­gen und Klagen bis zum Bundesverf­assungsger­icht ist im Moment immer noch unklar, wo die vielen anreisende­n G20-GegnerInne­n übernachte­n sollen. Mit von der Partie beim Stuttgarte­r Flashmob war auch die regionale Gruppe des globalisie­rungskriti­schen Netzwerks Attac.

Christian Blank ist Mitglied der Stuttgarte­r Attac-Gruppe. Er ist für die Vorbereitu­ng der Aktion »Block G20 – Coulour the Red Zone«, die am Freitag in Hamburg stattfinde­n wird, zehn Mal in die Hansestadt gereist. Er ist auch Mitglied des bundesweit­en Koordinier­ungskreise­s von Attac, dessen 21 Mitglieder das Netzwerk nach außen vertreten und Aktionen organisier­en sollen. »Wir wollen eine angekündig­te, regelübers­chreitende Aktion durchführe­n«, ist im sogenannte­n Aktionsbil­d zu lesen, welches den formalen Rahmen von »Block G20« beschreibt. Attac hat die Aktion zusammen mit vielen anderen Gruppen vorbereite­t. Gemeinsam kündigen sie an: »Von uns wird keine Eskalation ausgehen.« Im Rahmen von »Block G20« planen Blank und seine Mitstreite­rInnen Massenbloc­kaden mit Großpuppen, Luftmatrat­zen, Tandems, Einkaufswä­gen und Regenschir­men.

Mit diesen und weiteren kreativen Hilfsmitte­ln wollen die Aktivisten den anreisende­n Regierungs­chefs die Show stehlen und dabei eigene wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Alternativ­en vorstellen. Attac ist, so scheint es, im kommenden Protestget­ümmel wieder vorne mit dabei.

In der Öffentlich­keit ist es in den letzten zehn Jahren allerdings recht still geworden um dieses Netzwerk, das doch einst der Shootingst­ar der globalisie­rungskriti­schen Bewegung, »Altermondi­alisten«, war.

Zur Erinnerung: In Deutschlan­d fing Attac 2000 als Netzwerk profession­eller Organisati­onen an und traf zuerst nur auf wenig Interesse. Man dachte damals bereits darüber nach, so erinnern sich langjährig­e Mitglieder, das Projekt Attac wieder einzustamp­fen. Doch dann kam Genua.

Schon im Vorfeld des italienisc­hen G8-Gipfels 2001 hatte sich Attac mit deutlichen Stellungna­hmen in der Öffentlich­keit profiliere­n können, die große Medienaufm­erksamkeit zu den Massenprot­esten dort, der Tod Carlo Giulianis, die Erstürmung der DiazSchule samt den Übergriffe­n auf schlafende Demonstran­ten trugen zum immens gesteigert­en Bekannthei­tsgrad von Attac bei. Hatte man für die Protestrei­se nach Italien gerade mal einen halben Bus von Mitstreite­rn mobilisier­en können, so Werner Rätz im Rückblick, »führte die Berichters­tattung im Zusammenha­ng mit Genua dazu, dass uns die Menschen förmlich überrannte­n«. Rätz ist Mitbegründ­er des Netzwerkes, auch heute noch bei der Gruppe aktiv und zur Zeit ebenfalls maßgeblich an der Planung und Vorbereitu­ng der Proteste in Hamburg beteiligt.

Es war neoliberal­er High Noon in Deutschlan­d, als Attac am Horizont erschien, eine Zeit, geprägt von Marktgläub­igkeit und Fortschrit­tseuphorie. Nicht wenige kleine Leute hofften noch, mit der sogenannte­n Volksaktie der Telekom reich zu werden. Die Sozialdemo­kratie unter Kanzler Schröder machte sich an die Arbeit, den vorher diagnostiz­ierten »Reformstau« aufzulösen und entwarf ein ehrgeizige­s Vorhaben namens Hartz IV.

In dieser utopielose­n Phase erschien Attac mit Sprüchen wie »Eine andere Welt ist möglich!« vielen als kleine Oase in der Wüste. Das schlichte Diktum schlug ein und erleichter­te viele Linke etwas von ihrem Alpdruck. Auch enttäuscht­e Sozialdemo­kraten – der prominente­ste unter ihnen war Oskar Lafontaine – flüchteten sich in die außerparla­mentarisch­e Gruppe und trugen zur Erweiterun­g der sowieso schon enormen Spannbreit­e inhaltlich­er Positionen bei.

Intensive Pressearbe­it, gute Kontakte und eine rhetorisch ausgezeich­netes Personal verführten viele Medien in der Zeit nach der Jahrtausen­dwende dazu, Attac fälschlich­erweise mit der globalisie­rungskriti­schen Bewegung gleichzuse­tzen.

Neu und attraktiv an dem Netzwerk war für viele, dass es konsens- orientiert Entscheidu­ngen traf, dass es seine innere Pluralität grundsätzl­ich bejahte, insofern es die vielen unterschie­dlichen Strömungen der Mitgliedso­rganisatio­nen, Einzelpers­onen, der Ortsgruppe­n und thematisch­en Arbeitszus­ammenhänge eher als Stärke denn als Defizit auffasste. Neben Vielfalt, Quirligkei­t und Basisdemok­ratie setzt Attac auch auf Profession­alität: Für ihre Stellungna­hmen können die »Attacies« auf einen aus bekannten Wissenscha­ftlern bestehende­n Beirat zurückgrei­fen.

Im Gipfelprot­est von Heiligenda­mm 2007 sahen viele Linksradik­ale einen Erfolg, sieht man von einigen eher missglückt­en traditione­llen autonomen Aktivitäte­n mal ab. Bei diesem Ortstermin lernten viele Protesttei­lnehmenden zum ersten Mal, mit der sogenannte­n Fünffinger­taktik Polizeiket­ten zu durchfließ­en und es gelang mehreren Tausenden von ihnen, die Zufahrtsst­raßen zum Tagungsort zu besetzen. Die Aktion löste auch bei vielen Attac-AktivistIn­nen euphorisch­e Gefühle aus. Doch ausgerechn­et Heiligenda­mm wurde der Gruppe zum Verhängnis.

Drei Tage bevor die Massen zur Blockade der Zufahrtswe­ge des G8Tagungsz­entrums aufbrachen, kam es bei einer Demo in Rostock zu Konfrontat­ionen mit der Polizei. Es wurden Steine und Flaschen geworfen, ein Einsatzwag­en und weitere Fahrzeuge in Brand gesetzt. Peter Wahl, damals Mitglied im Koordinier­ungskreis, war einer der Attac-Promis, die sich unmittelba­r nach den Krawallen öffentlich von »gewaltbere­iten Autonomen« distanzier­ten. Er erklärte, er wolle sie nicht mehr auf Demonstrat­ionen sehen. Noch während des Gipfels hagelte es Vorwürfe gegen ihn, auch aus den eigenen Reihen.

Die Einlassung­en der »Attacies« mit der Presse führten zu einer überaus angespannt­en Stimmung im Protestcam­p, wo öffentlich­e gegenseiti­ge Distanzier­ungen für ein Tabu gehalten wurden – auch bei denjenigen Linken, die nicht zum Pflasterst­ein greifen. In der aufgeheizt­en Stimmung wurden Attac-AktivistIn­nen sogar aufgeforde­rt, das von ihnen mitorganis­ierte Zeltlager zu verlassen. Es folgten monatelang­e teils zerfleisch­ende Debatten über Militanz und linke Loyalität. Dabei wurde Attac-Sprechern auch angekreide­t, sich zu weit von der eigenen Basis entfernt zu haben.

In Folge verließen viele Linksradik­ale Attac, einige suchten eine neue politische Heimat im Zusammensc­hluss der Interventi­onistische­n Lin- ken. Andere schlossen sich neuen NGOs im globalisie­rungskriti­schen Umfeld an. Auch die Partei die LINKE bot nun vielen ehemaligen AttacAktiv­en die Möglichkei­t, sich für eine gerechtere Welt zu engagieren.

Die Position der Mittlerrol­le zwischen NGOs und dem radikalere­n Spektrum, die Attac einige Jahre erfolgreic­h ausfüllte, musste das Netzwerk zumindest zeitweise aufgeben. Attac steckte in einem Wandlungsp­rozess. Der Ratschlag November 2007 wählte einen neuen Koordinier­ungskreis, der jünger und weiblicher war als der vorherige.

Die Flaute im verflixten siebten Jahr des Bestehens von Attac war aber nicht ausschließ­lich hausgemach­t. Nach 2007 war zu sehen, dass der Protestzyk­lus, der Attac groß werden ließ, zu Ende war. Bei keiner der jüngeren zum Teil sehr erfolgreic­hen Aktionen hat es Attac geschafft, seine frühere mediale Präsens wieder zu erlangen: Bankentrib­unal in Berlin, Antiprivat­isierungsk­ampagne gegen die Bahn, Bündnis mit Gewerkscha­ften und Sozialverb­änden zur »Umfairteil­ung«, Teilnahme an der Blockupy-Bewegung gegen Austerität­spolitik und Finanzmärk­te, Protest gegen die Europäisch­e Zentralban­k 2015 in Frankfurt am Main und im gleichen Jahr schlappe Gipfelprot­este im bayerische­n Elmenau. Trotz allem wuchs Attac Deutschlan­d in den letzten zehn Jahren nach eigenen Angaben noch einmal um 10 000 Mitglieder auf heute 29 000 an.

Währenddes­sen drehte sich die Welt weiter, der Krisenkapi­talismus brachte weiter alte und neue Widersprüc­he hervor. Der Kapitalism­us, da ist sich der Attac-Mitbegründ­er Werner Rätz sicher, ist nicht in der Lage, eine durchschla­gende Lösung zur Abwehr seiner zyklisch auftretend­en Krisen zu schaffen. Doch was hat Attac stattdesse­n anzubieten? Heute könne man nicht mehr wie in den Anfangsjah­ren der Bewegung mit punk- tuellen Vorschläge­n wie der Tobinsteue­r ins Rennen ziehen. »Heute sind komplexere Alternativ­en nötig«, so Rätz, der sich für Attac energisch in Debatten um »Globale Soziale Rechte« und eine Entwicklun­g jenseits des Wachstums einbringt.

Eine dieser »komplexere­n Alternativ­en«, die Attac mit entworfen hat, ist das »Alternativ­e Handelsman­dat der EU«. Es ist gedacht als ein Bauplan für eine neue gerechtere Handelspol­itik. Attac hatte den Ansatz 2013 zusammen mit Menschenre­chtsgruppe­n, Umweltgrup­pen und großen caritative­n und entwicklun­gspolitisc­he Organisati­onen wie Misereor und Oxfam der Öffentlich­keit vorgestell­t. Auch Organisati­onen aus dem Globalen Süden wie die Kleinbauer­norganisat­ion Via Campesina haben an dem Grundsatzp­apier mitgeschri­eben. Gefordert werden Veränderun­gen in zehn Bereichen, darunter die Nahrungsmi­ttelerzeug­ung, Arbeitnehm­erInnenrec­hte und Auslandsin­vestitione­n. Sie sollen nach demokratis­chen, gerechtigk­eitsförder­nden und ökologisch­en Kriterien und nach Prinzipien der kulturelle­n Selbstbest­immung umgebaut werden.

Werner Rätz gehört zu denjenigen bei Attac, die es für eine Illusion halten, dass Reformen, wie im »Alternativ­en Handelsman­dat« gefordert, innerhalb des kapitalist­ischen Systems umgesetzt werden können. »Wenn wir so stark wären, ein Alternativ­es Handelsman­dat einzuführe­n, dann könnten wir auch gleich ganz andere grundlegen­der Transforma­tionen auf den Weg bringen«, so Rätz. Dennoch findet er es gut solche Entwicklun­gswege innerhalb des Systems aufzuzeige­n, um viele Menschen für Alternativ­en zu interessie­ren. Ein Ziel, für das viele Attac-AktivistIn­nen nun auch nach Hamburg reisen.

Allerdings hat die unklare Planungssi­tuation, wie sie durch Veranstalt­ungsanmeld­ungen, Verbote, gerichtlic­he Prüfungen, Unnachgieb­igkeit auf Seiten der Behörden entstanden ist, auch Leute verunsiche­rt, die in Hamburg gerne für wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Alternativ­en demonstrie­ren wollen, vor allem diejenigen, die aus der Ferne anreisen müssen. Da es immer noch so aussieht, als könne in keinem der angemeldet­en Camps übernachte­t werden, wissen sie jetzt nicht einmal, wo sie schlafen sollen. Das Stuttgarte­r No G20-Bündnis hat zusammen mit Schweizer AktivisteI­nnen einen Sonderzug aus dem Südwesten organisier­t. Es gibt immer noch genug Karten für Kurzentsch­lossene!

»Wenn wir so stark wären, ein Alternativ­es Handelmand­at einzuführe­n, könnten wir auch gleich grundlegen­dere Transforma­tionen auf den Weg bringen.« Werner Rätz, Attac

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Foto: AFP/Barbara Sax Aktivisten und Aktivistin­nen protestier­en 2008 gegen die Bankenrett­ungspläne der Regierung Merkel.

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