nd.DerTag

Provokateu­r

-

Der Radsport weist mittlerwei­le eine Menge bizarre Folklore auf. So sahen Tourfans jüngst am Straßenran­d in Belgien eine Krankensch­wester im kurzen weißen Kleidchen. Sie schwang eine große, mit »EPO« beschrifte­te Spritze und entlud gestenreic­h ihren Inhalt auf ein vorbeifahr­endes Teamfahrze­ug von Astana. Ein recht passendes Bild, war der Rennstall doch für spektakulä­re Dopingfäll­e in der Vergangenh­eit verantwort­lich. Der berühmtest­e war das Fremdblutd­oping, mit dem der heutige Rennstallm­anager Alexander Winokurow überführt worden war.

Unter der Schwestern­tracht verbarg sich ein Mann aus Südbelgien, der es jedoch nicht allein auf Astana abgesehen hatte. Jedes Teamfahrze­ug wurde »gespritzt«. »Bei mir kommen alle dran. Ich habe keine Vorlieben«, meinte der junge Mann, der sich dem Reporter als Thomas vorstellte. Er wollte auch Betreuer und Fahrer umarmen, doch die sprangen erschrocke­n davon. Niemand will auf Fotos mit der verkleidet­en EPO-Schwester im Arm in der Zeitung erscheinen.

Die Gründe für Thomas’ Performanc­e blieben unersichtl­ich. Überzeugte­r Auskenner und Kritiker des Radsports ist er jedenfalls nicht. Zum einen hatte Thomas sichtlich Freude an dem Radspektak­el. Zum anderen war seine Spritze für die derzeit in Teilen des Pelotons vermutlich praktizier­ten Minimaldos­ierungen von EPO doch um Einiges zu groß. Andere Präparate stehen gerade ohnehin höher im Kurs bei den Betrügern. Ein bestens organisier­ter Eventfan war Thomas aber auch nicht. Seine neben ihm stehenden Kumpel verzichtet­en lieber auf eine ähnliche Tracht und borgten sich nur gelegentli­ch mal die Spritze aus.

Spaß haben, ein bisschen provoziere­n und die große Bühne für die eigene Minimaldar­bietung nutzen – das sind die Charakteri­stika vieler Randereign­isse der Tour de France. Manche wie die der EPO-Schwester erzeugen immerhin mehr Aufmerksam­keit und Zustimmung der umstehende­n Zuschauer als die meisten vom Veranstalt­er eingekauft­en Gigs im Startdorf der Etappen.

 ?? Foto: nd/Jirka Grahl ?? Tom Mustroph, Radsportau­tor und Dopingexpe­rte, berichtet zum 16. Mal für »nd« von der Tour de France.
Foto: nd/Jirka Grahl Tom Mustroph, Radsportau­tor und Dopingexpe­rte, berichtet zum 16. Mal für »nd« von der Tour de France.

Newspapers in German

Newspapers from Germany