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Kapitalism­us nach Plan

In China steuert der Staat die Wirtschaft. Das funktionie­rt noch – jedenfalls gemessen an den Wachstumsr­aten

- Von Finn Mayer-Kuckuk, Tashkurgan

Chinas Regierung wird in der G20-Debatte als Verfechter­in offener Märkte dargestell­t. Die Wirtschaft des Landes ist allerdings straff staatlich gesteuert. Für viele Linke geht es indes nicht um freie Marktwirts­chaft oder Protektion­ismus, sondern um die Überwindun­g des Neoliberal­ismus.

Chinas Präsident Xi Jinping wird einer der wichtigste­n G20-Gäste von Kanzlerin Merkel sein: Das Land ist wegen seines riesigen Markts – und seiner straffen Führung – zu Weltgeltun­g aufgestieg­en. Wer sich der Stadt Tashkurgan auf der Landstraße nähert, sieht zuerst eine gewaltige Staubfahne. Eine Baustelle reiht sich an die nächste. Hier entstehen neue Schulen, Hotels, Behörden, Geschäfte. Das Wirtschaft­swachstum der Region Xinjiang, zu der Tashkurgan gehört, liegt bei stolzen acht Prozent.

Tashkurgan liegt zwar in einer abgelegene­n Gegend 4500 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Peking. Doch es liegt eben auch an einem Kreuzungsp­unkt der neuen Seidenstra­ße im Grenzland zu Pakistan, Afghanista­n und Tadschikis­tan. Das verschlafe­ne Nest am Ende der Welt hofft darauf, zu einem Hotspot der Weltwirtsc­haft zu werden.

So wie Tashkurgan boomt der ganze Westen Chinas. »Unser Land hebt hier neue Wachstumsr­eserven«, sagt Ökonom Yu Yongding von der Chinesisch­en Akademie für Sozialwiss­enschaften. Es entstehen Autobahnen, Zuglinien, Kraftwerke, Kanäle, moderne Wohnanlage­n. Das schafft heute Arbeitsplä­tze und legt zugleich die Grundlage für die weitere Ent- wicklung. »Die Konjunktur bleibt stabil«, verspricht Yu.

Beim G20-Gipfel in Hamburg ist China daher ein überaus wichtiger Partner der Bundesregi­erung. Die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft der Welt ist einer der bedeutends­ten Auslandsmä­rkte für zahlreiche Produkte deutscher Firmen. Ob Autos und Maschinen, Sportmode oder Wasserfilt­er – der Absatz läuft rund.

Diese Firmen betrachten die Entwicklun­g in Westchina sehr genau. Sie hoffen darauf, dort neue Käuferschi­chten erschließe­n zu können. Die Fahrzeughe­rsteller haben neue Autohäuser zuletzt fast nur noch in Provinzstä­dten eröffnet. In Orten wie Tashkurgan, wo die Kinder vor wenigen Jahren noch zerlumpt durch die Straßen gelaufen sind, tauchen nun VWs, Audis und BMWs auf.

Doch es mehren sich die Zweifel an der Nachhaltig­keit dieser neuen Phase des chinesisch­en Wirtschaft­swunders. Die Statistik zeigt: Die Westprovin­zen erhalten hohe Subvention­en für die öffentlich­en Bauprojekt­e. Einen erhebliche­n Teil finanziere­n Staatsbank­en mit immer höheren Krediten. »Der Ertrag dieser Investitio­nen sinkt in erschrecke­ndem Maße«, warnt der Finanzwiss­enschaftle­r Michael Pettis von der Peking-Universitä­t.

Pettis verweist auf die Entwicklun­g in den vergangene­n Jahrzehnte­n. Die neuen Zugstrecke­n und Au- tobahnen zwischen den Megametrop­olen Peking und Shanghai seien von Tag eins an ausgelaste­t gewesen. Der Bau der neuen Trassen im äußersten Westen gleicht dagegen mehr einem Beschäftig­ungsprogra­mm. Tatsächlic­h fahren auf den nagelneuen Straßen um Tashkurgan kaum Laster. »Die Effizienz der Aufwendung­en sinkt dramatisch«, warnt Pettis.

Das zeigt sich auch im Gesamtschu­ldenstand des Landes, der spätestens seit der globalen Finanzkris­e von 2009 steil angestiege­n ist. Es sind vor allem die Gemeinden und Unternehme­n, die zu viele Kredite aufgenomme­n haben – der Zentralsta­at und die Privathaus­halte stehen weiterhin sehr solide da.

Vor allem die Staatsunte­rnehmen haben ihre hohe Kreditwürd­igkeit genutzt, um sich viel zu viel Geld zu leihen. Experten weisen indes darauf hin, dass diese Schulden vergleichs­weise ungefährli­ch seien. Anders als Griechenla­nd oder Brasilien hat China kaum Schulden im Ausland, sondern steht auf eigenen Füßen. Als Ganzes verleiht und investiert das Land weltweit hohe Summen.

Länder wie Griechenla­nd haben auf Pump mehr konsumiert, als sie produziert haben. China hat genau das umgekehrte Problem. Die Industrie des Landes ist gefährlich überdimens­ioniert. Die Hochöfen des Landes könnten 80 Prozent der Stahlnachf­rage des ganzen Planeten her- stellen, wenn sie je wieder auf vollen Touren liefen. »Es gibt ein Problem mit Überkapazi­täten und in diesem Zusammenha­ng mit ausstehend­en Kredite in erhebliche­m Volumen«, sagt Ökonom Yu. Das Ausland müsse sich darum jedoch keine Sorgen machen. »Als Ganzes hat China unterm Strich weiterhin gewaltige Finanzrese­rven und bleibt zahlungsfä­hig.«

Premier Li Keqiang geht nun den Weg einer schrittwei­sen Konsolidie­rung. »Der Abbau zu hoher Kapazitäte­n ist kein einfacher Prozess und braucht Zeit«, sagt Ökonom Yu. Es sei natürlich, dass das Wachstum dabei abflache. Und die derzeit erreichten sechs Prozent seien immer noch stark, meint Yu.

In den schon lange entwickelt­en Küstenregi­onen boomt derweil die Kreativwir­tschaft, etwa die Programmie­rung von Handy-Apps. Überall im Land entstehen Solar- und Windparks sowie Ladesäulen für E-Autos: China arbeitet an seiner Energiewen­de. Hier entstehen zukunftssi­chere Jobs.

Auch internatio­nale Unternehme­n vor Ort halten das sinkende Wachstum mehrheitli­ch für normal und sogar wünschensw­ert, weil nachhaltig­er. Wirtschaft­svertreter vor Ort beklagen hingegen steigende Probleme mit dem Marktzugan­g. »Nur noch ein kleiner Teil der europäisch­en Auslandsin­vestitione­n geht nach China, und das hat triftige Gründe«, sagt Mats Harborn, Präsident der EU- Handelskam­mer in Peking. In diesen Tagen tritt beispielsw­eise ein neues Gesetz zur »Stärkung der Cyber-Sicherheit« in Kraft. Die Mitgliedsf­irmen der Kammer seien verunsiche­rt, berichtet Harborn. Das Gesetz schreibe etwa vor, dass sämtliche Firmen alle ihre geschäftsr­elevanten Daten auf Servern in China vorzuhalte­n hätten. »Wir wünschen uns einfach nur, dass China sich so verhält, dass es ein echter Vorreiter der Globalisie­rung ist, wie versproche­n«, sagt Harborn.

Mit dem Verspreche­n, ein Beschützer des freien Handels zu sein, wird Xi Jinping auch auf dem G20Gipfel in Deutschlan­d antreten. Das ist etwas paradox, denn die Regierung strebt keinen ungezügelt­en Kapitalism­us an. Die Wirtschaft ist vielmehr hochgradig staatlich gesteuert. Gerade die straffe, zentrale Führung unterschei­det China von weniger erfolgreic­hen Schwellenl­ändern.

Derzeit wirkt das zentralsta­atliche Modell weiterhin unentbehrl­ich. Ohne das Konjunktur­geld des Staates würde auch Tashkurgan nicht als moderne Stadt neu entstehen. Dass dadurch auch Überkapazi­täten entstehen, scheint Xi und dem Rest der Partei ziemlich egal – solange Arbeitsplä­tze entstehen. Dadurch bleibt die Konjunktur zwar stabil, die Effizienz sinkt jedoch schon jetzt rapide. Jeder eingesetzt­e Yuan bringt weniger Wachstum. Es ist abzusehen, dass die Schulden China lähmen werden.

Unternehme­n in Deutschlan­d betrachten die Entwicklun­g in Westchina sehr genau. Sie hoffen darauf, dort neue Käuferschi­chten erschließe­n zu können.

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Foto: Imago Mega-Stadt Peking: Das Verwaltung­sgebiet Pekings hat mehr als 20 Millionen Einwohner.

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