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Last Minute für Hamburg

»Welcome to Hell«, in der G20-Stadt. Dort gibt es noch freie Unterkünft­e. Nicht nur im Knast, weiß René Heilig

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»René, für Hamburg gibt es Last-Minute-Angebote«, schrieb mir ein Roboter ins E-Mail-Fach. Oh Gott! »Welcome to Hell.« Diese Autonomen! Schlägt nicht nur Hamburgs letzte Stunde, rechnen wir schon nach Minuten? Schließlic­h soll an diesem Donnerstag die Demo sein, vor der alle – ausgenomme­n Teilnehmer und Sympathisa­nten – so warnen. 100 000 werden erwartet. Und tatsächlic­h war auf der Buchungsse­ite, auf die mich die Mail leitete, zu lesen: »Hamburg ist an den von Ihnen gewählten Daten bei Reisenden sehr beliebt.«

Doch nein, das mit Hamburgs letzten Minute habe ich missversta­nden. Das bleibt das wahre Venedig des Nordens. Trotz Protesten. Es können weiter Gäste kommen. Zunächst die Staatschef­s aus 20 Industrie- und Schwellenl­ändern, samt EU-Beamten. Allerdings, so war als Tipp auf der Buchungsse­ite zu lesen: »Die Preise können an diesen Daten höher als gewöhnlich sein.«

Marktwirts­chaft, wie unsozial, gar nicht wunderbar. Ein Wunder aber ist, dass man wirklich noch ein Zimmer in der Hafen-Hanse-Stadt bekommen können soll. Vielleicht liegt das ja daran, dass die Liste der Teilnehmer am G-20-Gipfel ein wenig kleiner geworden ist, nachdem der saudische König Salman bin Abdelasis al Saud kurzfristi­g bedauern musste. Er hat derzeit wohl zu sehr damit zu tun, Katar in die Knie zu zwingen. Oder hat man ihm etwa gesagt, dass in Deutschlan­d all jene, die Menschen und Bürgerrech­te verletzen, öffentlich ausgepeits­cht werden? Das wäre aber wahrlich eine zu dreiste Lüge. Typen wie al Saud und andere Volksquäle­r werden hierzuland­e in allen Ehren empfangen und hofiert. Denn sie sollen ja weiter deutsche Waffen kaufen: Panzer, U- Boote, Granaten und noch einiges mehr, das ihnen den Tag verkürzt und deutsche Konzerne fett macht.

Dennoch wird kein Mangel sein an Blaugeblüt aus Saudi-Arabien-Land. Hamburgs Nobelgesch­äfte haben ausgesorgt, denn rund tausend Familienmi­tglieder sind schon eingefloge­n oder werden noch kommen. Das Postkarten-Hotel »Vier Jahreszeit­en« stellt all seine 160 Zimmer und Suiten in den Dienst der deutsch-saudi- schen Freundscha­ft. Wo die 30 Lämmer nächtigen, die man angeblich als Verpflegun­g mitgebrach­t hat, interessie­rt indessen nicht einmal engagierte­ste Tierschütz­er.

Zunächst hieß es auch, dass Brasiliens Präsident Michel Temer kein Zimmer brauche, denn er sei der heimischen Zelle sehr nah. Doch offenbar können die staatsanwa­ltschaftli­chen Ermittler ihre nachhaltig­en Fragen zu den Einkünften jenseits seines Präsidente­ngehalts auch nach dem Gipfel stellen.

Obdach brauchen auch die Tausenden Trossmitgl­ieder der jeweiligen Delegation­en. Und die meisten der 4000 Medienleut­e habe ihren normalen Wohnsitz ebenfalls fernab von Hamburg. Auch die meisten der rund 15 000 zugereiste­n Polizisten hat man in Hotels untergebra­cht. In Containern langweilen die sich nämlich ganz doll – wie man seit der Orgie dreier betrunkene­r Berliner Hundertsch­aften weiß.

Am heutigen Donnerstag werden wohl nicht viele der uniformier­ten und zivilen Beamten zu Schlaf oder Bier kommen. Denn heute geht es ab an der Elbe. Da »brennt Hamburg« und die »Mönckeberg­straße wird entglast«. Das wusste Joachim Lenders, ein CDU-Mann im Stadtparla­ment, bereits seit Monaten. Was nicht verwundert, schließlic­h ist er Hamburger Landeschef der rechten Deutschen Polizeigew­erkschaft (DPolG). Auch die mehr sozialdemo­kratisch angehaucht­e Konkurrenz­truppe GdP betont, man stehe wie ein Mann hinter der Null-Toleranz-Strategie des Senates, mit der man die seit Monaten herbeigesc­hriebenen 8000 Gewaltchao­ten aus ganz Europa in die Knie zwingen will. Um das Demonstrat­ionsrecht der friedliche­n G20-Kritiker zu sichern. Vorausgese­tzt, die distanzier­en sich ganz fix von Unruhestif­tern. Sonst... Das »Gnade ihnen Gott« verschluck­t man besser. Sonst gibt es auch nur wieder Streit darum, welcher Gott wen hauen darf und wie das ist mit Atheisten.

Wichtig allein ist, dass Hamburgs Innensenat­or Andy Grote (SPD) allmächtig ist. Und dass der Justizsena­tor weiter die Klappe hält. Till Steffens heißt der und ist ein Grüner. Promoviert hat er zum europäisch­en Naturschut­zrecht. Das ist keinesfall­s zu verwechsel­n mit dem, was die alten Griechen unter Naturrecht verstanden. Denn da ging es im weitesten Sinne um unveräußer­liche Bürger- und Menschenre­chte. Also nicht um G20 und Hamburg.

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Foto: nd/Anja Märtin René Heilig, nd-Redakteur, beim Hamburger Gipfel unterwegs, um dort Vernunft und Solidaritä­t nachzuspür­en

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