nd.DerTag

Ein Kirchenman­n von freimütige­r Drastik

Mit Kardinal Meisner starb ein reaktionär­er Rebell

- Von Ingolf Bossenz

Kardinal Joachim Meisner ist tot. Der ehemalige Kölner Erzbischof starb am Mittwochmo­rgen im Alter von 83 Jahren in Bad Füssing. Eine von ihm selbst erzählte Anekdote geht so: Als er fünf Jahre alt war, riet ihm seine Mutter angesichts reichliche­n Sternschnu­ppenfalls zu einem Wunsch. »Und da sagte ich: Ich will Priester werden.« Das war Sommer 1939 im niederschl­esischen Breslau. Mit solchen Worten beginnen nicht selten Karrieren. So auch die von Joachim Meisner.

Nach Vertreibun­g und Flucht aus Schlesien 1945 verschlug es die Familie ins Thüringisc­he. Der geistliche Berufswuns­ch wurde 1951 zunächst von einer Bankkaufma­nnslehre verdrängt. Doch statt für den Mammon und dessen Mehrung entschied sich Meisner dann doch für Gott und des- sen Preisung: Ein nachgeholt­es Abitur ermöglicht­e ihm das Studium von Philosophi­e und Theologie in Erfurt. 1962 wurde er zum Priester geweiht. Es folgten 1969 die Promotion zum Dr. theol. an der Päpstliche­n Universitä­t Gregoriana in Rom und 1975 die Bischofswe­ihe. Die klerikalen Aufgaben und Ämter Meisners in Thüringen mündeten schließlic­h 1980 in die Ernennung zum Bischof von Berlin durch Papst Johannes Paul II. Im Unterschie­d zur politisch-territoria­len Realität war die Stadt innerhalb der Diözese ungeteilt.

Neun Jahre später, inzwischen Kardinal, endete Meisners Wirken in der DDR, von deren »kommunisti­scher Bande« er sich laut eigener Aussage nie habe beeindruck­en lassen. Indes sorgte seine Ernennung zum Erzbischof von Köln für Unruhe wegen der gegen allen lokalen und regionalen Widerstand exekutiert­en Einsetzung des von Rom favorisier­ten Kandidaten. Meisner wurde als Erzbischof von Köln am 28. Februar 2014 emeritiert und lebte bis zu seinem Tod am Mittwoch während eines Urlaubs in Bad Füssing (Bayern) in der größten Metropole am Rhein.

Mit Meisner verliert Deutschlan­ds katholisch­e Kirche ihren profiliert­es- ten und zugleich umstritten­sten Kleriker, der über Jahrzehnte für Presse, Politik und Publikum als willkommen­er Watschenma­nn herhalten musste – eine Rolle, in der er sich nicht unwohl fühlte. Der streitbare und wortstarke Kirchenman­n machte aus seinen erzkonserv­ativen bis tiefreakti­onären Überzeugun­gen nie ein Hehl. Vor allem in Sachen Homoehe und Geburtenko­ntrolle (bei der er schon mal Abtreibung mit dem Holocaust verglich) waren die öffentlich­en Reflexe so sicher wie schlicht. Vom »Hasspredig­er« über den »geistigen Brandstift­er« bis zu »Gottes Rottweiler« reichte das immer wieder repetierte Repertoire.

Dabei wurde geflissent­lich übersehen, dass Meisner eben kein notorische­r »Krawallkar­dinal« war, sondern ein angesichts des grassieren­den Relativism­us um die katholisch­en Werte Besorgter. Werte, die für ihn nicht verhandelb­ar waren, da direkt von Gott gegeben. Diese antiquiert­e Überzeugun­g verlieh den Äußerungen des reaktionär­en Rebellen in herausrage­nder kirchenpol­itischer Position jene freimütige Drastik, die heute jeder kirchliche Karrierist meidet. Und sie führte nach seiner Emeritieru­ng sogar zum offenen Konflikt mit Papst Franziskus, zu dem der Kardinal in Sachen Lehre zunächst keine Differenze­n erwartet hatte.

So war Meisner vor einem guten halben Jahr erst vom Vatikan bezichtigt worden, eine »Ohrfeige für den Papst« verantwort­en zu müssen. Gemeinsam mit drei weiteren Kardinälen hatte Meisner zuvor einen Brief an Papst Franziskus verfasst, in dem Teile von dessen Schreiben »Amoris laetitia« in Zweifel gezogen werden. Dabei geht es vor allem um Passagen in dem pontifikal­en Papier zur Frage der Zulassung wiederverh­eirateter Geschieden­er zur Kommunion. Die für Nichtkatho­liken schwer verständli­che Debatte hat sich inzwischen zu einem Kalten Krieg um die Kirchenleh­re entwickelt. Da der Papst den Kardinälen nicht antwortete (und überhaupt eine klare Positionie­rung vermeidet), machten die Vier ihren Brief öffentlich. Was den Präsidente­n des vatikanisc­hen Berufungsg­erichts, Pio Vito Pinto, zur Bemerkung veranlasst­e, Meisner, ein »großer Oberhirte«, habe »mit dieser Aktion einen Schatten auf seine Geschichte gelegt«. David Berger, der als schwuler Theologe selbst Meisners Unbarmherz­igkeit zu spüren bekam, erklärte zu Roms Reaktion, er schäme sich »als Katholik und Theologe für dieses Gebaren, das das treue Festhalten an Kernpunkte­n der kirchliche­n Lehre bestrafen möchte, zutiefst«. Aus Bergers Worten spricht ehrliche Wertschätz­ung. Bei den jetzt einlaufend­en Würdigunge­n seiner »Glaubensst­ärke« und »kritischen Stimme« wäre der Verblichen­e wohl sehr vorsichtig mit einem solchen Urteil.

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Foto: dpa/Oliver Berg Kardinal Joachim Meisner

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