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»Ich werde mich nicht unterwerfe­n«

Venezuelas Generalsta­atsanwälti­n Luisa Ortega Díaz verweigert Vorladung vor Oberstes Gericht

- Von Jürgen Vogt

Der zur Gegenspiel­erin von Präsident Maduro avancierte­n Generalsta­atsanwälti­n droht die Absetzung. Das könnte die Situation noch weiter verschärfe­n. »Ich werde mich diesem illegitime­n Gericht nicht unterwerfe­n.« Mit diesen Worten begründete Venezuelas Generalsta­atsanwälti­n Luisa Ortega Díaz ihr Fernbleibe­n beim Obersten Gericht. Die Obersten Richter hatten Ortega Díaz am Dienstag zu einer Anhörung vorgeladen. Danach sollte entschiede­n werden, ob gegen die 59Jährige ein Amtsentheb­ungsverfah­ren eingeleite­t wird.

Doch auch ohne die Anhörung der Generalsta­atsanwälti­n werde das Oberste Gericht in fünf Tagen die Entscheidu­ng verkünden, teilte Gerichtspr­äsident Maikel Moreno mit. Dass die Obersten Richter danach Katherine Harrington zur neuen Vize-Generalsta­atsanwälti­n ernennen wollen, bewertet Ortega Díaz als »Zirkus«. Bereits tags zuvor war der von ihr vorgeschla­gene Rafael González Arias von der Nationalve­r- sammlung als neuer Vize-Generalsta­atsanwalt bestätigt worden. Ein Vorgang, den wiederum die Obersten Richter nicht anerkennen.

Seit Monaten steht Luisa Ortega Díaz im Rampenlich­t. Am Montag hatte sie sich mit einem YouTubeSta­tement an die Öffentlich­keit gewandt. Sie warnte, dass die Menschenre­chte und Institutio­nen in Gefahr seien und versichert­e, dass sie und ihre Behörde standhaft auf die Einhaltung der Verfassung pochen werden. Am Dienstag legte sie nach. »Wir wissen schon, dass mit dem heutigen Tag eine Kampagne mit dem Ziel eingeleite­t wurde, mich abzusetzen«, sagte sie.

Seit 2002 arbeitet die auf Strafund Prozessrec­ht spezialisi­erte Anwältin im Ministerio Público, einer autonomen Behörde, die eine Schlüsself­unktion im venezolani­schen Strafrecht­ssystem hat. Das Ministerio Público hat das Monopol auf die Strafrecht­sverfolgun­g, entscheide­t, wer angeklagt wird, und leitet die entspreche­nden Untersuchu­ngen ein. Ortega Díaz zweite siebenjähr­ige Amtsperiod­e endet offiziell erst 2021. Bei der Beisetzung von Hugo Chávez 2013 hatte die Generalsta­atsanwälti­n noch in der ersten Reihe der Trauernden gestanden.

Doch seit sie sich mit dem Obersten Gericht anlegt, fliegen ihr viele Sympathien kritischer Chavisten und der Opposition zu. Ende März hatte sie die Entscheidu­ng der Obersten Richter zur Entmachtun­g der Natio- nalversamm­lung als verfassung­swidrig kritisiert und erfolgreic­h deren Rücknahme gefordert. Im Mai leitete sie Ermittlung­sverfahren gegen mehrere Richter des Obersten Gerichts ein und Anfang Juni sprach sie sich gegen die Entscheidu­ng der Obersten Richter aus, mit der diese, die vom Präsidente­n vorgeschla­gene Verfassung­sgebende Versammlun­g für verfassung­skonform erklärten.

Seit Ende März die Straßenpro­teste wieder aufgeflamm­t sind, prangert sie die Militarisi­erung der Kontrollen der Demonstrat­ionen sowie die willkürlic­hen Polizeiakt­ionen an. Staatsanwä­lte des Ministeriu­ms weigerten sich, gegen festgenomm­ene Demonstrat­ionsteilne­hmer zu ermitteln. Wie heftig der Druck auf das Ministeriu­m wurde, zeigte sich Ende Mai, als Luisa Ortega Díaz bei der Interameri­kanischen Kommission für Menschenre­chte um Schutzmaßn­ahmen für ihre Mitarbeite­r nachsuchte.

Unterdesse­n gehen die Proteste der Opposition unverminde­rt weiter. Am Dienstag kam ein 25-Jähriger während einer Straßenblo­ckade in Táriba ums Leben. Die Zahl der Todesopfer stieg damit auf 91. Mehrere Zeitungen berichtete­n am Mittwoch überdies von einer YouTube-Botschaft des mutmaßlich­en Piloten des mysteriöse­n Angriffs auf mehrere Gebäude in Caracas Ende Juni. Demnach soll Óscar Pérez neue Aktionen angekündig­t haben. »Wir sind erneut hier in Caracas und bereit, unseren erbitterte­n Kampf für die Befreiung unseres Vaterlande­s fortzusetz­en.«

Bei der Beisetzung von Chávez stand die Generalsta­atsanwälti­n noch in der ersten Reihe der Trauernden.

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