Rückkehr der Schiedsgerichte
Vor dem G20-Gipfel wollen die EU und Japan für Freihandel werben
Bei einem EU-Japan-Gipfel soll eine Grundsatzentscheidung über das bilaterale Freihandelsabkommen JEFTA getroffen werden. Vor allem die Frage der Schiedsgerichte ist umstritten. »Gerade jetzt müssen die EU und Japan zusammenarbeiten, um die Flagge des Freihandels zu hissen.« Es waren jene Worte von Japans Premierminister Shinzo Abe bei seinem Deutschland-Besuch im März, die bei Gastgeberin Angela Merkel gut ankamen. Sie diktierte Reportern in den Block: Japan und Europa seien gute Partner, denn sie teilten die Ideale der liberalen Demokratie.
Hierbei geht es um mehr als nur Floskeln, was gerade im Vorfeld des G20-Gipfels deutlich wird. Zum einen grenzt man sich von Ländern wie den USA und Großbritannien ab, in denen der Rechtspopulismus aufblüht und Abschottung beliebter ist als Öffnung. Zum anderen will man schon Nägeln mit Köpfen machen: Die Verhandlungen zwischen der EU und Japan über das Freihandelsabkommen JEFTA sind so weit fortgeschritten, dass bei einem EU-Japan-Gipfel am Donnerstag in Brüssel eine politische Grundsatzvereinbarung verkündet werden soll. Wann mit einem Abschluss gerechnet werden kann, ist freilich nicht absehbar. Frühestens im Herbst dürfte es so weit sein, meinen Insider. Zahlreiche strittige Punkte sind ungeklärt, obwohl seit bereits vier Jahren hinter verschlossenen Türen über JEFTA verhandelt wird.
Europäische Unternehmen exportierten 2016 Waren im Wert von 58,1 Milliarden Euro nach Japan, umgekehrt waren es 66,4 Milliarden Euro. Gehandelt werden vor allem Maschinen und Elektrogeräte, Fahrzeuge sowie Chemie- und Pharmaprodukte. Das Abkommen soll den Handel zwischen der EU und Japan, die zusammen für mehr als ein Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung stehen, weiter ankurbeln. In der EU beschwert man sich über Zölle und nicht-tarifäre Handelshemmnisse wie Normen und Vorschriften. So werden etwa Käseexporte mit Zöllen in Höhe von bis zu 40 Prozent verteuert. Tokio stößt sich derweil besonders an Zöllen, die Europa auf Autos aufschlägt.
Kritiker zweifeln indes an, ob die beiden Wirtschaftsräume für eine Welt stehen, deren Handel demokratisch bleibt. Von der Umweltschutzorganisation Greenpeace geleakte Dokumente deuten darauf hin, dass für den Schutz von Investoren private Schiedsgerichte eingerichtet werden können, mit denen Unternehmen also die öffentliche Justiz und Gesetze umgehen dürften, um ihre Interessen gegen Staaten zu verhandeln. Damit stellt sich die Frage: Verletzen hier gerade zwei Regionen, die sich als Anführer des ökonomischen und politischen Fortschritts erklärt haben, heimlich ihre eigenen Standards?
»Die japanische Seite ist sehr, sehr intransparent«, klagte dieser Tage Bernd Lange (SPD), Europaparlamentarier und Vorsitzender des Handelsausschusses. Er würde in Straßburg gegen so ein Abkommen stimmen. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström sagte kürzlich zur Frage der Schiedsgerichte: »Mit Japan haben wir bei diesem Thema noch keine Einigung. Die haben da ein anderes Verständnis.« Die Regelung, an die Tokio sich bei Freihandelsabkommen gewöhnt hat, sieht so aus: Fühlt sich ein Unternehmen ungerecht behandelt, erlauben die internationalen Verträge, dass ein privates, geheimes Schiedsgericht einberufen wird, bei dem Kläger und Angeklagter je ihren eigenen Richter mitbringen. Zudem einigen sich beide Par- teien auf einen dritten Richter, dann wird leise prozessiert und entschieden, wer Recht hat.
Als die Europäische Union mit den USA und Kanada Freihandelsabkommen verhandelte, war das Konzept solcher privater Schiedsgerichte der umstrittenste Punkt. Im Deal mit Kanada einigte man sich deshalb nach großem öffentlichen Widerstand auf einen Internationalen Handelsgerichtshof, der Streitfälle klären soll. Dies sei jetzt der Standard, prahlte man in Brüssel dann. In der Tat stimmte Vietnam in einem Handelsvertrag bereits für so eine permanente, öffentliche Gerichtsbarkeit mit Europa, Singapur und Mexiko sollen bald folgen. Warum sollte das im Umgang mit Japan nun anders sein? Und was würde ein Deal ohne diesen selbsterklärten Richtwert der Gerichtsbarkeit bedeuten?
Ingomar Lochschmidt, Wirtschaftsdelegierter Österreichs in Tokio, kann die japanische Seite gut verstehen. »Die nationale Justiz ist für den internationalen Handel nicht geschaffen«, meint Lochschmidt. Private Schiedsgerichte seien wesentlich schneller, auch würden Streifragen von kompetenteren Juristen geklärt. Zudem: »Stellen Sie sich vor, Sie müssen in einem Land vor einem Bezirksgericht prozessieren, wo die Justiz aber politisiert ist.«
Dem könnte man dem entgegensetzen, dass sowohl in Japan als auch in der EU die Justiz unabhängig ist. Warum sollten dann nicht auch Unternehmen den Weg über die ordentlichen Gerichte gehen wie alle anderen Kläger auch? Keisuke Iida, Professor für Handelspolitik an der Universität Tokio, verweist auf die Gewohnheit. »Japan hat mit allen Partnerländern die Ad-hoc-Regelung, dass in Streitfällen ein Gericht einberufen wird.« Nötig gewesen sei dies aber noch nie: »Japanische Betriebe klagen eigentlich nicht«, sagt Iida.
Franz Waldenberger, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio, hätte von der japanischen Seite eine den europäischen Vorstellungen nähere Linie erwartet. »Mit privaten Schiedsgerichten grenzt man immer die Souveränität des Landes ein. So eine Konstruktion öffnet Lobbyismus Tür und Tor.«