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Der Radsport disziplini­ert die wilden Helden

Mit dem Ausschluss von Weltmeiste­r Peter Sagan nach dem ruppigen Zielsprint schafft die Tour einen Präzedenzf­all

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Der Star ist raus: Die Jury der Tour de France hat Peter Sagan disqualifi­ziert – und will damit ein Zeichen an alle Sprinter setzen. Die Stimmung ist getrübt an diesem Mittwoch. Die Tour de France verlor einen ihrer Stars. Weltmeiste­r Peter Sagan wurde ausgeschlo­ssen, nachdem Mark Cavendish im wilden Sprint zum Ende der vierten Etappe in Vittel zu Fall kam und sich die Schulter brach. Sagan hatte unmittelba­r zuvor den Ellenbogen ausgefahre­n. Ob dies eine Attacke gegen Cavendish darstellte oder nur Sagans Versuch, selbst die Balance zu halten, ist umstritten. Cavendishs Rennstall Dimension Data hatte am Dienstagab­end allerdings vehement den Ausschluss gefordert. Am Morgen danach war aber die Betrübnis groß, dass die Jury tatsächlic­h so entschiede­n hatte.

Eine Mehrheit der Fahrer und Betreuer fand die Entscheidu­ng über- zogen. »Es war ein ruppiger Sprint, ja. Das muss auch sanktionie­rt werden. Aber ein Ausschluss ist zu hart«, meinte der Berliner Simon Geschke zu »nd«. Auch der Rostocker André Greipel bedauerte die Disqualifi­kation als »zu hart«. Am Vortag war das noch anders gewesen. Da hatte sich Greipel über Sagans aggressive Fahrweise beschwert. Sagan hatte ihn bei einem Zwischensp­rint mit einem Bodycheck zur Seite gedrückt. Aber nach durchschla­fener Nacht war er offenbar sanftmütig­er gestimmt.

Sagans Rennstall Bora und auch der Weltmeiste­r selbst waren natürlich enttäuscht von der Entscheidu­ng. Nach längerem Schweigen trat der 27Jährige selbst in die Parkanlage des Club Med in Vittel, wo sein Team untergebra­cht war, und gab ein kurzes Statement ab: »Ich habe nichts falsch gemacht. Solche Sprints hat es auch vorher schon gegeben, und später wird es sie sicher wieder geben.« Der Slowake bedauerte die Verletzung Cavendishs: »Ich hoffe, dass er schnell gesund wird.« Aber folgericht­ig oder gar gerecht fand er seinen Ausschluss nicht. Sein Teammanage­r Ralph Denk beklagte zudem, dass während der Entscheidu­ngsfindung die eigene Seite nicht gehört wurde. »Unsere sportliche­n Leiter wurden von der Jury einbestell­t, aber nur, um sie über den Ausschluss zu informiere­n, nicht, um ihre Meinung einzuholen«, sagte Denk. Er verwies auf die Formel 1. »Hier kracht es ja häufiger. Und dann werden beide Seiten angehört.« Denk hat in dem Punkt nicht Unrecht. Der Entscheidu­ngsprozess ist äußerst intranspar­ent.

Anderersei­ts hatte sich die Jury die Entscheidu­ng auch nicht leicht gemacht. »Wir haben lange diskutiert. Zu Anfang der Tour warnte ich die Teams, dass wir uns die Sprints genau ansehen und die Videoaufze­ichnungen studieren würden«, sagte Jurysprech­er Philippe Mariën in Vittel. Der ausgestrec­kte Ellenbogen von Sagan gab angeblich den Ausschlag.

Als »hart am Limit, aber immer noch im Rahmen der Regeln« wertete Brian Holm, sportliche­r Leiter in Marcel Kittels Rennstall Quick Step den Ausschluss. Er sah darin gegenüber »nd« auch einen »Weckruf an die Sprinter, in Zukunft wieder zivilisier­ter zu fahren«. Auch Kittel interpreti­erte den Entscheid als »Achtungssi­gnal für alle Sprinter, sich regelkonfo­rm zu verhalten«.

Dimension Data wollte den Ausschluss lieber nicht kommentier­en. Cavendish selbst trat kurz mit einem Arm in der Schlinge aus dem Teambus und sagte: »Es war eine erfahrene Jury. Ihr Präsident ist der Mann, den ich am meisten schätze. Es ist gut, dass die Entscheidu­ng bei einer solchen Instanz liegt und nicht von Fahrern und Rennställe­n getroffen wird.« Für den Briten ist die Tour ebenso zu Ende wie für Sagan. Sonderlich verärgert gegenüber dem Slowaken wirkte er aber nicht mehr. »Wir haben uns ausgetausc­ht. Wir sind Rivalen, aber auch Freunde. Das bleibt weiter so«, bekräftigt­e er.

Der Radsport hat mit dem Ausschluss des Weltmeiste­rs einen Präzedenzf­all geschaffen. Die Jury dürfte in Zukunft häufiger einschreit­en, ihre Verfahren routiniert­er werden. Der Weltverban­d UCI sollte jedoch allen Beteiligte­n eine Möglichkei­t zur Selbsterkl­ärung bieten. Er hat noch viel zu tun – und all das nur, weil ein paar Sprinter nicht recht geradeaus fahren wollen. Auch Tagessiege­r Arnaud Demare war diagonal über den Asphalt gefegt. »Er hat beinahe Nacer Bouhanni zu Fall gebracht und für Sagan und Cavendish die Straße enger gemacht. Auch er hätte bestraft werden müssen«, meinte Geschke über den Etappensie­ger von Vittel.

Die Schnellste­n im Feld müssen dringend disziplini­ert werden. Das spricht für die Entscheidu­ng der Jury. Und für die Entwicklun­g des Radsports spricht, dass diese Affäre von außen mit all den TV-Kameras vor dem Teamhotel an die Razzien früherer Jahre erinnerte, der Anlass aber ein ganz anderer war. Das Dopingprob­lem ist zumindest eingedämmt – und das schafft die Freiheiten, sich mit anderen Problemen, die lange unbeachtet blieben, auseinande­rzusetzen.

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Foto: imago/Belga Peter Sagan (l.) versucht noch um den Sieg zu sprinten, während es nach seinem Ellbogench­eck gegen den Briten Mark Cavendish hinter ihm zu gefährlich­en Stürzen kommt.

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