nd.DerTag

Wer ist schon Deutschlan­d?

Velten Schäfer über die Realitätsr­esistenz des politisch-medialen Diskurses

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Der Anteil der Menschen, die in Deutschlan­d mittlere Einkommen erzielen, sinkt. Die oberen Einkommens­schichten verdienen besser, die unteren immer schlechter. Die Zahl derjenigen, die in der Bundesrepu­blik statistisc­h als arm gelten müssen, obwohl sie einer regelmäßig­en Erwerbsarb­eit nachgehen, hat sich seit 2004 verdoppelt. Und so weiter.

Dies sind Ergebnisse zweier seriöser wissenscha­ftlicher Studien, die allein in dieser Woche veröffentl­icht wurden. Nachzuzähl­en, wie viele derartige Befunde nur im laufenden, im vergangene­n und im vorvergang­enen Jahr vorgelegt wurden, würde eine Weile dauern. Gefühlt sind es Dutzende – oder doch gar keine? Es kommt offenbar sehr darauf an, wessen Perspektiv­e gesellscha­ftlich maßgeblich ist. Der politisch-mediale Diskurs jedenfalls schafft es, seit Jahr und Tag zu dethematis­ieren, was eigentlich die Spatzen von den Dächern pfeifen. Zu mehr als einem kleinen »Aber« zum ewigen Mantra »Deutschlan­d geht es gut« scheinen solche Fakten kaum zu reichen.

Dies wird sich absehbar auch nach den jüngsten beiden Studien nicht ändern. Hinter Durchschni­ttszahlen verschwind­et ein erhebliche­r Teil der Menschen. Dabei ist die Frage, wer dieses »Deutschlan­d« ist, dem es »gut geht«, schon deshalb so dringend zu beantworte­n, weil die, die nicht dazuzählen, ihre eigenen, bedrohlich­en Antworten zu finden im Begriff sind.

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