nd.DerTag

Gesittete Verhältnis­se

Der Bundesrat beschließt Regeln für die Fleischind­ustrie, die Ausbeutung der Werktätige­n verhindern sollen

- Von Hans-Gerd Öfinger

Wirksamen Schutz für Schlachter und Zerleger verspricht ein neues Gesetz. Doch ob es die Lage der oftmals osteuropäi­schen Wanderarbe­iter tatsächlic­h verbessert, hängt nicht zuletzt von Kontrollen ab. Von der letzten Sitzung des Bundesrats an diesem Freitag erhoffen sich viele Gewerkscha­fter ein Signal für kleine, aber wichtige Verbesseru­ngen in der Arbeitswel­t. Auf der Tagesordnu­ng und unscheinba­r in den dicken Beschlussv­orlagen befindet sich das bereits vom Bundestag verabschie­dete Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehm­errechten in der Fleischwir­tschaft. Dieses Gesetz soll vor allem die Ansprüche von oftmals osteuropäi­schen Beschäftig­ten in deutschen Schlachtfa­briken sichern, die Sozialkass­en stärken und dem massenhaft­en Missbrauch von Werkverträ­gen entgegen wirken. Es soll verhindern, dass die Betriebe ihre Pflicht zur Zahlung von Sozialvers­icherungsb­eiträgen umgehen und die Fleischind­ustriellen zwingen, Arbeitsmit­tel, Werkzeuge und Schutzklei­dung kostenlos zur Verfügung stellen. Ausbeuteri­sche Verhältnis­se in der Fleischind­ustrie, die für Schlagzeil­en gesorgt hatten, sollen so beendet werden.

All dies lässt erahnen, wie stark der Handlungsd­ruck inzwischen geworden ist. In ländlichen Regionen von Niedersach­sen, Westfalen, Bayern oder Sachsen-Anhalt sind in den letzten Jahrzehnte­n riesige Schlachtfa­briken entstanden. Konzerne wie Tönnies, Vion. Westfleisc­h, Wiesenhof, Danish Crown oder Heidemark mit ihren industriel­len Schlachtan­lagen haben kommunale Schlachthö­fe und kleine Fleischere­ien verdrängt. Ein Großteil der 60 Millionen Schweine, 3,6 Millionen Rinder, eine Million Schafe und neun Millionen Geflügelti­ere, die allein 2016 in Deutschlan­d geschlacht­et und zerlegt wurden, kamen in diesen Anlagen unters Messer.

Deutschlan­d ist nicht nur Exporteur von Autos, Waffen und Werkzeugma­schinen, sondern auch von Fleisch und Wurstwaren. »Früher hatten wir einen Selbstvers­orgungsgra­d von 80 Prozent beim Schlachten von Schweinen. Heute liegt er bei 120 Prozent«, berichtet Claus-Harald Güster vom Vorstand der Gewerkscha­ft Nahrung, Genuss, Gaststätte­n (NGG). Die Exportoffe­nsive sei vor allem eine Folge schlechter Arbeitsbed­ingungen und erfolge damit auf dem Rücken der Beschäftig­ten, so der Gewerkscha­fter. »Früher hatten wir hier durchgängi­g Tarifstruk­turen und teilweise sehr gut bezahlte Jobs für einheimisc­he Facharbeit­er. Doch schon vor über zwei Jahrzehnte­n wurde umgesteuer­t. Die Löhne sind in den Keller gerutscht.«

Die deutsche Fleischind­ustrie gehörte zu den ersten Branchen, die schon lange vor der Agenda 2010 eine massenhaft­e Prekarisie­rung der Arbeit umsetzte. Die Fleischbar­one entdeckten in den 90er Jahren den für sie gewinnbrin­genden Segen einer Auslagerun­g zentraler Arbeitsvor­gänge an Werkvertra­gspartner. Diese übernehmen Großaufträ­ge für das Töten und Zerlegen von Schlachtvi­eh. Die Knochenarb­eit wurde früher von den Stammbeleg­schaften erledigt. An ihre Stelle traten zunehmend weitgehend rechtlose Wanderarbe­iter aus osteuropäi­schen EU-Beitrittsl­ändern wie Polen, Bulgarien und Rumänien. Sie werden oftmals über ein Geflecht von Sub- und Subsubunte­r- nehmen rekrutiert und hausen unter menschenun­würdigen Bedingunge­n zu Wuchermiet­en. Als Vater des »Geschäftsm­odells« Werkverträ­ge gilt der Münchner Arbeitsrec­htler und Juraprofes­sor Bernd Rieble. Er ist als Chef des durch eine Stiftung verschiede­ner Arbeitgebe­rverbände finanziert­en Zentrums für Arbeitsbez­iehungen und Arbeitsrec­ht an der Münchner Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t bestens mit Unternehme­rverbänden vernetzt. Künftig sollen nun die Einsatzbet­riebe der Branche und nicht die mit den Arbeiten beauftragt­en Subunterne­hmen bei Regelverst­ößen haften.

Für Claus-Harald Güster ist das neue Gesetz ein »großer Schritt in die richtige Richtung, um in der Branche zu gesitteten Verhältnis­sen zurückzuke­hren«. Es könne »vielen schwarzen Schafen« entgegenwi­rken, die es »mit großer Fantasie« verstehen, den seit Juli 2014 geltenden Branchenmi­ndestlohn, Arbeitnehm­erschutzre­chte und sozialrech­tliche Abgabepfli­chten zu unterlaufe­n. Allerdings müssten die für die Kontrollen zuständige­n Behörden dringend besser ausgestatt­et und personell aufgestock­t werden, mahnt der Gewerkscha­fter.

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Foto: dpa/Bernd Thissen

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