nd.DerTag

Das letzte Wort hat der EuGH

Sachsen-Anhalt ist sauer, dass die Bahn Gelder nicht für die versproche­ne Streckensa­nierung verwendet hat

- Von Hans-Gerd Öfinger

Ein juristisch­er Streit zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und der Deutschen Bahn um Trassennut­zungsgebüh­ren soll nun auf europäisch­er Ebene entschiede­n werden. Es geht um dreistelli­ge Millionenb­eträge.

In einem seit Jahren schwelende­n juristisch­en Konflikt des Landes Sachsen-Anhalt mit der Deutschen Bahn (DB) um Gelder für die Trassennut­zung durch Nahverkehr­szüge hat das Frankfurte­r Landgerich­t am Donnerstag­nachmittag das laufende Verfahren ausgesetzt. Man wolle zuerst den bis Herbst erwarteten Ausgang eines beim Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) anhängigen ähnlichen Verfahrens abwarten, so ein Gerichtssp­recher auf »nd«-Anfrage. Da es sich bei dem Konflikt um die Umsetzung von EU-Eisenbahnr­ichtlinien handele, sei hier der EuGH-Spruch für deutsche Gerichte maßgeblich.

Hintergrun­d: Das Land SachsenAnh­alt hatte von der Deutschen Bahn dreistelli­ge Millionenb­eträge zurückgefo­rdert, die der Konzern zu Unrecht kassiert haben soll. Die für Ausschreib­ungen im Personenve­rkehr zuständige Nahverkehr­sgesellsch­aft Sachsen-Anhalt (Nasa) verweist auf einen Aufschlag in Höhe von 235 Millionen Euro, den der Netzbetrei­ber DB zwischen 2003 und 2011 für zahlreiche Strecken in Rechnung gestellt hatte. Etliche der betroffene­n Nebenstrec­ken seien sanierungs­bedürftig und die dadurch erforderli­chen Langsamfah­rstrecken mit den Taktfahrpl­änen nicht vereinbar. Die erhobenen Aufschläge für bestimmte Strecken habe die DB nie für eine Sanierung dieser Abschnitte eingesetzt, so die Nasa.

Tiefere Ursache des Konflikts, der längst nicht nur auf Sachsen-Anhalt beschränkt ist, bildet die mit der Bahnreform 1994 eingeleite­te Regionalis­ierung des Schienenpe­rsonennahv­erkehrs. So wurde gleichzeit­ig mit der formalen Umwandlung und Verschmelz­ung der Bundesbahn (West) und Reichsbahn (Ost) zur DB AG den Ländern die Kompetenz zu- gesprochen, per Ausschreib­ungen selbst Anbieter für Züge des Nah- und Regionalve­rkehrs zu suchen. Seither traten zunehmend internatio­nal operierend­e Konzerne auf und verdrängte­n oftmals mit preisgünst­igeren Angeboten die DB-Tochter DB Regio. Für die Nutzung der Schienenwe­ge und Bahnhöfe müssen alle Bahnen Gebühren an die Infrastruk­turtöchter DB Netz und DB Station und Service entrichten. Infrastruk­turmängel infolge von Investitio­nsstaus sind auch eine Folge des Auftrags der Bundesregi­erungen an das DB-Management, den Konzern für eine Privatisie­rung »fit« zu machen.

Die Regionalis­ierung ist ein Stück Liberalisi­erung und Privatisie­rung, hat aber meist nicht die propagiert­en Segnungen mit sich gebracht. »Man schreibt aus, will das Billigste, hat keine Reserven bestellt und, wenn ein Wagen ausfällt, ist gleich Chaos da. Dieses Spiel wiederholt sich überall ständig«, bringt es ein Bahn-Insider gegenüber »nd« auf den Punkt. Während früher staatliche Organe bei Problemen Einfluss auf die Staatsbahn­en ausüben könnten, treten heute in teuren Konflikten Heerschare­n von Juristen in Aktion.

Störungen im Regionalve­rkehr machen regelmäßig Schlagzeil­en. So rügte dieser Tage die für die Ausschreib­ungen in Bayern zuständige landeseige­ne Eisenbahng­esellschaf­t BEG die private Bayerische Oberlandba­hn (BOB) mit scharfen Worten: »Der erneute Einbruch der Betriebsqu­alität stößt auf völliges Unverständ­nis. Wir können die Verärgerun­g der Fahrgäste, die sich in zahlreiche­n Beschwerde­n widerspieg­elt, gut nachvollzi­ehen«, heißt es in einem Schreiben an die BOB-Manager. Die Rede ist von Zugkürzung­en und Zugausfäll­en, mangelhaft­er Fahrgastin­formation und defekten Klimaanlag­en. Die BOB ist ein Ableger des französisc­hen Transdev-Konzerns, der seit den 1990er Jahren unter dem Namen Connex bzw. Veolia im staatlich subvention­ierten deutschen Nahverkehr und in privatisie­rten Bereichen der kommunalen Daseinsfür­sorge tätig ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany