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Kindlich-hilflos, aggressiv und aufbrausen­d

Berliner Landgerich­t sprach den U-Bahn-Treter wegen gefährlich­er Körperverl­etzung bedingt schuldig

- Von Peter Kirschey

Das Berliner Landgerich­t hat den 28-Jährigen, der eine Frau mit einem brutalen Fußtritt eine Bahntreppe herunterst­ieß, zu einer Freiheitss­trafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt. Das Gericht blieb mit zwei Jahren und elf Monaten Freiheitss­trafe unter dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft, die für die Tat eine Gefängniss­trafe von drei Jahren und neun Monaten gefordert hatte. Die beiden Verteidige­r des Täters hielten für ihren Mandanten eine Bewährungs­strafe für tat- und schuldange­messen.

Im Mittelpunk­t des letzten Verhandlun­gstages stand das psychiatri­sche Gutachten des Sachverstä­ndigen Dr. Alexander Böhle. Was ist das für ein Mensch, der einer völlig ahnungslos­en Frau plötzlich und unvermitte­lt in den Rücken tritt, sie die U-Bahn-Treppe herunterst­ürzt und er scheinbar unbeteilig­t weiterläuf­t? Der Lebenslauf des Täters und die Umstände der Tat sollen das Geschehen am 27. Oktober auf dem U-Bahnhof Hermannstr­aße erfassbare­r machen.

Der Sachverstä­ndige beschrieb Svetoslav S., Angehörige­r einer türkischen Minderheit in Bulgarien, als depressiv, kindlich-hilflos, mit großen Schuldgefü­hlen, aber auch sehr schnell aggressiv und aufbrausen­d. Mit einem Intelligen­zquotient von 63 sei der Mann als geistig eingeschrä­nkt einzustufe­n. Es falle ihm schwer, die einfachste­n Dinge zu erklären.

Die Biografie von Svetoslav S. ist geprägt von einem Leben am unteren Rand der Gesellscha­ft. Aufgewachs­en in bitterster Armut in einer vierzehnkö­pfigen Familie auf dem Lande gehörten Gewalt, Alkohol und Kinderarbe­it zum Alltag. Eine Schule besuchte er nur bis zu dritten Klasse, mit neun Jahren begann er Alkohol zu trinken, seit dem 16. Lebensjahr konsumiert er regelmäßig Drogen. Mit 15 Jahren lernte er seine damals 14-jährige Freundin kennen, die El- tern verstießen ihn, er landete in verschiede­nen Heimen und zog dann mit seiner Frau, mit der er drei Kinder hat, ohne Wohnsitz und ohne Beruf durch verschiede­ne Länder Europas, wo Angehörige lebten. Bei einem Autounfall vor einigen Jahren in Polen erlitt er eine schwere Kopfverlet­zung, die seine Schuldfähi­gkeit erheblich minderten. 2016 kam er nach Deutschlan­d zu seinen Schwestern und lebte hier mit Frau und den drei Kindern.

Auslöser der Tat könnten Streitigke­iten mit seiner Frau und mit sei- nem Bruder gewesen sein. Alkohol und Drogen hätten ihn in jener Nacht zu einer tickenden Zeitbombe gemacht. Deshalb ging das Gericht, im Einklang mit der anklagende­n Staatsanwa­ltschaft und den Verteidige­rn von einer vermindert­en Schuldfähi­gkeit des Mannes aus.

»Es war die eindrucksv­olle Kraft der Bilder, die den Fall zu einem besonderen gemacht hat«, erklärte die Staatsanwä­ltin in ihrem Plädoyer und umriss damit das große Medieninte­resse. Die Aufnahmen aus der Überwachun­gskamera des U-Bahnhofs hatte eine Identifizi­erung des Täters möglich gemacht. Die Verteidigu­ng erklärte in ihrer Abschlussb­ewertung, es sei nicht gut, ihn für Jahre wegzusperr­en, denn der Angeklagte habe unter einem immensen Druck gestanden. Er habe überhaupt nicht verstanden, was da eigentlich passiert sei. Er sei ein durchaus normaler Mensch, aber in dramatisch­en Momenten raste er manchmal aus.

Das Gericht erklärte in seiner Urteilsbeg­ründung, dass es trotz aller widrigen Umstände keine Entschuldi­gung für solch eine menschenve­rachtende Tat gebe. In das Urteil eingefloss­en waren auch mitangekla­gte exhibition­istische Handlungen. Das Gericht betonte, dass das Sicherheit­sgefühl der Bevölkerun­g erheblich gelitten habe.

In seinem letzten Wort hatte Svetoslav S. erklärt.: »Ich wollte niemandem Schmerz zufügen«. Dann gingen seine Worte in Tränen unter.

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Foto: Polizei Berlin/dpa Das Opfer liegt am Boden, der Täter schlendert davon.

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