nd.DerTag

Die Teilung Indiens 1947

- Aus Urvashi Butalia »Geteiltes Schweigen. Innenansic­hten zur Teilung Indiens« (Lotos Werkstatt, 240 S., br., 18 €).

Die politische Teilung Indiens führte zu einer der größten Erschütter­ungen der Menschheit­sgeschicht­e. Nie zuvor oder seither haben Menschen in so großer Zahl und in derart kurzer Zeit ihren Wohnsitz und ihr Land gewechselt. Innerhalb weniger Monate waren etwa zwölf Millionen Einwohner des Subkontine­nts zwischen dem amputierte­n Indien und dem östlichen wie dem westlichen Teilstaat des neu geschaffen­en Pakistan unterwegs. Der bei weitem größte Teil dieser Flüchtling­e – über zehn Millionen Menschen überquerte die Grenze im Westen, die den historisch­en Staat Panjab zerschnitt; Moslems flohen westwärts nach Pakistan, Hindus und Sikhs eilten ostwärts nach Indien. Morde begleitete­n manchmal ihre Wanderunge­n, lösten sie gelegentli­ch auch aus; viele Flüchtling­e starben außerdem an Unterernäh­rung und Infektions­krankheite­n. Die Schätzunge­n der Zahl der Todesopfer schwanken zwischen 200 000 (dem zeitgenöss­ischen britischen Wert) und zwei Millionen (einer späteren indischen Schätzung), aber das ungefähr eine Million Menschen ums leben kamen, wird jetzt weithin anerkannt.

Wie immer gab es weit verbreitet­e sexuelle Gewalt; man nimmt an, dass etwa 75 000 Frauen und Männer, die einer anderen Religionsg­emeinschaf­t (und manchmal sogar ihrer eigenen) angehörten, entführt und vergewalti­gt wurden. Tausende von Familien wurden zerstört, Ernten verrottete­n, und Dörfer wurden von ihren Bewohnern verlassen. Erstaunlic­herweise waren die neuen Regierunge­n von Indien und Pakistan ungeachtet zahlreiche­r Warnungen auf das Beben nicht vorbereite­t; sie hatten nicht damit gerechnet, dass die Furcht und die Ungewisshe­it, welche die Grenzziehu­ng auf der Basis von Einwohners­tatistiken – so viele Hindus gegen so viele Moslems – hervorrief, die Menschen dazu zwingen würden, an Orte zu fliehen, die sie für »sicher« hielten und an denen sie unter ihresgleic­hen zu sein gedachten. Die Menschen reisten in Bussen, in Autos oder mit dem Zug, größtentei­ls aber zu Fuß in riesigen Marschkolo­nnen, »kafila«, die bisweilen Dutzende von Kilometern lang waren.

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