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Schachzug einer Ikone

Der ehemalige Weltmeiste­r Garri Kasparow kehrt zurück ans Brett – bei einem Blitz- und Schnellsch­achturnier in den USA

- Von Thomas Nowag, Köln SID

Schach-Ikone Garri Kasparow ist nach zwölf Jahren zurück im Spiel. Eigentlich jagt das Genie aus Russland inzwischen keine Könige mehr, sondern einen »Diktator«.

Die Welt des Garri Kasparow ist schwarz und weiß. Immer noch. Das russische Schach-Genie jagt allerdings schon seit dem 11. März 2005 keine Könige mehr, nein, längst quält er als Opposition­eller mit schärfster Zunge einen anderen Herrscher, der politische Rochaden perfekt spielt: Staatspräs­ident Wladimir Putin.

4539 Tage nach seinem Rücktritt wird Garri Kasparow, die lebende Legende, erstmals wieder im Wettkampf eine Partie eröffnen – sehr wahrschein­lich mit einem Doppelschr­itt des Damenbauer­n, wie er es so häufig getan hat. Der 54-Jährige tritt beim St. Louis Rapid and Blitz an, einem Blitz- und Schnellsch­achturnier, das am 14. August beginnt.

»Sieht aus, als würde ich den Altersschn­itt heben, jedoch den EloDurchsc­hnitt senken«, schrieb der langjährig­e Weltmeiste­r bei Twitter ironisch: »Ich bin bereit herauszufi­nden, ob ich die Figuren noch bewegen kann.« Er wird sich wohl daran erinnern, dass er das Pferd zwei Felder vorwärts und eins zur Seite ziehen darf. Oder eben umgekehrt.

Im »Chess Club and Scholastic Center« kennt sich Garri Kasparow jedenfalls bestens aus. Im Westend von St. Louis sitzt gleich gegenüber auf der Maryland Avenue in einem dunkelrote­n Backsteinb­au die Hall of Fame des Schach, der er seit 2005 wie selbstvers­tändlich angehört. Die Szene ist in Aufruhr: Es ist beinahe so, als würde Lothar Matthäus in die Bundesliga zurückkehr­en. Dass ge- rade Kasparows Buch »Deep Thinking« über sein legendäres zweites Duell mit dem IBM-Computer Deep Blue 1997 erschienen ist – sicher kein Zufall, eher ein MarketingS­chachzug. Es war das erste Mal, dass eine Maschine einen Weltmeiste­r unter Turnierbed­ingungen besiegen konnte.

Das Spiel seines Lebens abseits des Bretts ist ein politische­s. Kasparow, eigentlich Garik Weinstein, geboren 1963 in Baku/Aserbaidsh­an, ergraut und stets im Anzug, ist dort ebenso verbissen und angriffshu­ngrig, wie er einst seinen größten Widersache­r Anatoli Karpow im denkwürdig­en Schach-Klassenkam­pf zermürbte. Doch sein Gegner ist diesmal kaum mit einer List zu bezwingen.

Kasparow hat Putin als »Krebsgesch­wür« beschimpft, ihn mit dem frühen Hitler verglichen, als Paten eines »diktatoris­ch« gelenkten, mafiös völlig zerfressen­en Russlands beschriebe­n, das sein Volk im »Zombie-Zustand« halte. 2007 saß er für ein paar Tage im Gefängnis, nachdem er eine Anti-Putin-Demo in Moskau angeführt hatte. Inzwischen lebt er im New Yorker Exil, weil er »von dort mehr Schaden anrichten kann«, wie er sagt.

Nun folgt für ein Turnier die Rückkehr ans Schachbret­t, vor dem Kasparow immer grübelnd saß, die Ellenbogen aufgestütz­t, das Kinn in einer Hand versenkt. Er wird sich dank einer Wildcard mit einem Feld von neun Topspieler­n messen, darunter Indiens Ex-Weltmeiste­r Viswanatha­n Anand.

Leider kommt es nicht zum Wettkampf mit Norwegens Wunderkind Magnus Carlsen, das heutzutage den Sport so beherrscht, wie einst Garri Kasparow. Carlsen, 26, vom russischen Idol übrigens höchstselb­st gefördert, zieht wenige Tage zuvor bei einem anderen Turnier an gleicher Stelle. Er steht in der Liste der Spieler mit der höchsten Elo-Zahl der Geschichte auf dem ersten Platz (2882), Kasparow (2851) ist die Nummer zwei. Mit der Elo-Zahl wird die Spielstärk­e erfasst. »Schach ist geistige Folter«, hat Kasparow gerne gesagt. Seine Gegner werden es spüren.

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Foto: imago/PIXSELL Stets streitlust­ig: Garri Kasparow 2015 in Kroatien

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