Spalter wurden »eingehegt«
Bei Weltwirtschaft und Banken war man sich in Hamburg einig – beim Klima nicht
Der Hamburger G20-Gipfel ist Geschichte. Der große Eklat zwischen den Vertretern konträrer Positionen ist zwar ausgeblieben, konkrete Initiativen finden sich aber auch fast keine. Der Ökonom Peter Bofinger findet ganz kleine Runden von Staatsund Regierungschefs ergiebiger.
Aufgrund der Schwäche globaler Institutionen wie der UNO setzen manche Staaten auf die G20. Doch die ist vor allem damit beschäftigt, überhaupt noch Formelkompromisse zu finden. Handelskrieg, Ende der Bankenregulierung, Kohle statt Klima – die Befürchtungen waren groß vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Wirtschaftsnationen in den Hamburger Messehallen. Gastgeberin Angela Merkel hatte schon zum Auftakt am Freitag die Bedeutung dieses G20-Gipfels klar gemacht: »Wir kennen alle die großen globalen Herausforderungen«, sagte die Kanzlerin in ihrer Eröffnungsrede. »Wir wissen, dass die Zeit drängt.«
Im Zentrum der vier Arbeitssitzungen, Dutzender zwei- und dreiseitiger Treffen und des gemeinsamen Abendessens in der neuen Elbphilharmonie standen die Weltwirtschaft und der globale Handel. Die Top-Wirtschaftsmächte wollen das Wachstum für mehr Jobs in allen Teilen der Welt vorantreiben. Dazu verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs am Sonnabend einen »Hamburg Aktionsplan«. Darin räumt die G20 ein, dass sie ihr bereits 2014 vereinbartes Ziel, bis 2018 die Wirtschaftsleistung um zusätzliche zwei Prozentpunkte zu erhöhen, wohl erst später erreichen wird.
Dank wieder anziehender Wachstumsraten in China, steigender Verbraucherpreise und robuster Finanzmärkte erwartet Gipfelteilnehmerin Christine Lagarde, Direktorin des Internationalen Währungsfonds, für 2017 ein stärkeres Plus der Weltwirtschaft von 3,5 Prozent. Dies reicht in weiten Teilen Afrikas und Asiens aber nicht aus, um genügend Arbeitsplätze für die wachsende Bevölkerung zu schaffen. Knapp 300 Millionen Euro sammelten die Gipfelteilnehmer für einen Fonds ein, der Frauen in Entwicklungsländern bei der Gründung von Unternehmen stärken soll. Wohl auf Drängen des kanadischen Premiers Justin Trudeau, der sich als »Feminist« bezeichnet und auf seiner Pressekonferenz sein Wohlwollen für die Demonstranten außerhalb der Messehallen äußerte, nimmt das Thema Arbeit in der Abschlusserklärung breiten Raum ein. Bildung, gute Jobs und soziale Absicherung seien nötig, um die »Transformation des Arbeitsmarktes« durch die Digitalisierung »menschenwürdig« zu gestalten.
Noch beim G7-Gipfel der Industriemächte Ende Mai auf Sizilien hatte US-Präsident Donald Trump mit seiner »America-first«-Politik die anderen brüskiert. In Hamburg wurde er nun »eingehegt«, wie Dirk Messner, Co-Chef von »Think 20«, einer Zusammenarbeit von sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Instituten mit offiziellem G20-Mandat der deutschen Präsidentschaft, gegen- über »nd« erklärte. Der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik sagte, es sei zwar nicht gelungen, in einem Kraftakt die großen Weltprobleme gemeinsam anzupacken. »Aber es ist gelungen, die Kooperationsskeptiker und Spalter zurückzudrängen und zu verhindern, dass Trump, Putin und Erdogan als die großen Gewinner dastehen.«
So wurde bis kurz vor Schluss um die genauen Formulierungen in der Abschlusserklärung gerungen. Protektionismus und unfaire Handelspraktiken sollen nun von allen »bekämpft« werden. Über Streitigkeiten sollen Organisationen wie die OECD oder die WTO entscheiden. Vor allem Russlands Präsident Wladimir Putin, aber auch die Vertreter Chinas und Südkoreas, Deutschlands und Japans – Länder mit traditionell großem Außenhandelsüberschuss – zeigten sich vor knapp 5000 Journalisten aus aller Welt erfreut.
Im Gegenzug wurde dem US-Präsidenten eine Lösung bei den »Überkapazitäten« (Merkel) in der Stahlindustrie zugesichert. Die USA hatten China mit Strafzöllen gedroht, aber auch deutsche und indische Stahlkonzerne sind ins Visier Washingtons geraten. Im August, so Kanzlerin Merkel auf ihrer Abschlusskonferenz, soll eine Kommission den Markt analysieren, und im November will die G20 über einen Abbau der Überkapazitäten entscheiden. Wie dies geschehen könnte – außer chinesischen Stahl- kochern sind alle Unternehmen privat – blieb allerdings offen.
Auf der Agenda fehlte allerdings ausgerechnet die Regulierung der Finanzmärkte und Banken, eigentlich das Kernthema der G20. Die 19 Staats- und Regierungschefs sowie die EU-Vertreter hatten nach der Finanzkrise einiges in Bewegung gebracht, doch die Regulierung stockt. Auch hier gibt es Sorgen, dass sich die USA unter Trump zurückziehen. Nun heißt es, dass die G20-Staaten die Bankenregulierung weiter vorantreiben wollen, mit den USA. Merkel lobte ausdrücklich die Hintergrundarbeit der Finanzminister.
Beim Klimaschutz gelang dies nicht. Die US-Regierung will weiterhin dem Pariser Klimaabkommen fern bleiben, so steht es auch in der Gipfelerklärung, und sieht sich schon jetzt nicht mehr an die Ziele gebunden, obwohl ein Austritt erst in vier Jahren möglich wäre. Doch die anderen 19 Mitglieder der G20 stünden zu einer raschen Umsetzung des Abkommens, freute sich Kanzlerin Merkel.
Wenige Minuten später machte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im Briefingraum 3 einen dicken Strich durch die Klima-Rechnung: Das Parlament in Ankara werde das Abkommen nicht ratifizieren, tönte er und fügte hinzu, andere Länder könnten folgen. Alle anderen Gipfelteilnehmer hatten die Messehallen bereits verlassen. In einem Jahr treffen sie sich wieder – in Buenos Aires.
»Es ist gelungen, die Kooperationsskeptiker und Spalter zurückzudrängen und zu verhindern, dass Trump, Putin und Erdogan als die großen Gewinner dastehen.« Dirk Messner, »Think20«