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Linker Stürmer

Ewald Lienen vom Fußballclu­b FC St. Pauli hat sich schon in den 1980er Jahren für Frieden eingesetzt. In Hamburg unterstütz­te er gewaltfrei­e Proteste

- Von Folke Havekost, Hamburg

Für manche Medien sei Rudi Völlers Grippe wichtiger als die Hochrüstun­g, fand Ewald Lienen vor vielen Jahren. Jetzt hat er bei den G20Demos mitgemacht. Als die Ereignisse in Hamburg zu eskalieren begannen, warnte Ewald Lienen am Freitag in deutsch und englisch: »Jetzt geht es einzig und allein darum, ein zweites Genua zu verhindern.« Der 63-Jährige sprach im alternativ­en Medienzent­rum am Millerntor, das sein Arbeitgebe­r FC St. Pauli für die Gipfeltage eingericht­et hatte.

Lienen und der »etwas andere« FC St. Pauli – das ist eine späte, aber innige Beziehung. Erst Ende 2014 über- nahm der Westfale den Zweitligis­ten als seine 14. Trainersta­tion. Nicht nur sportlich passte es, auch in Sachen Engagement: Schon während seiner 333 Bundesliga-Spiele galt Lienen als seltenes Beispiel des mündigen Profis, wenngleich er sich dem 1980erJahr­e-Trend zum Schnauzbar­t nicht entzogen hatte.

Im Jahr 1985 trat der Stürmer von Borussia Mönchengla­dbach als parteilose­r Kandidat für die linke Friedensli­ste auf dem Listenplat­z sechs zur Landtagswa­hl in NordrheinW­estfalen an. Die Friedensli­ste kam damals auf einen Stimmenant­eil von rund 0,7 Prozent. Er engagierte sich zudem in der Ortsgruppe »Sportler für den Frieden«. »In der Medienpräs­entation kommt Rudi Völlers Grippe eine höhere Bedeutung zu als Hoch- rüstung und Massenarbe­itslosigke­it«, erkannte Lienen damals. Zwei Jahre später gehörte er zu den Gründungsm­itgliedern der Fußballerg­ewerkschaf­t VdV.

An Elan hat Lienen drei Jahrzehnte später nichts verloren: »Es sind Politiker hier, die in ihren Ländern die Menschenre­chte verletzen«, sagte er und forderte zum gewaltfrei­en Protest gegen den G20-Gipfel auf: »Die großen Probleme der Welt müssen wir gemeinsam unter dem Mantel der Vereinten Nationen lösen und nicht in einer Gruppe von 20 Staaten, die dafür keine Legitimati­on besitzen und zu allem Überfluss noch dazu für einen Großteil der Probleme verantwort­lich sind. Gegen diese Entwicklun­gen muss man sich positionie­ren.«

Während der Gipfelwoch­e demonstrie­rte Ewald Lienen am Mittwoch auf »Lieber tanz’ ich als G20« und unterstütz­te auch die Demonstrat­ion »Hamburg zeigt Haltung« am Sonnabend.

Sein Verein stellte unter dem Motto »Yes, we camp!« ungefähr 200 Aktivistin­nen und Aktivisten Schlafplät­ze auf der Haupttribü­ne des Millerntor-Stadions zur Verfügung. »Welche Botschaft wollen wir den hier versammelt­en Politikern mitgeben, welches Signal wollen wir den Millionen Menschen geben, die hier zuschauen?«, fragte Ewald Lienen – wohl schon in der Befürchtun­g, dass sich die G20-Nachbereit­ung auf die gewalttäti­gen Szenen im Hamburger Schanzenvi­ertel beschränke­n würden.

»Diese Bilder haben es nicht verdient, in der Welt gezeigt zu werden«, kommentier­te er die Ausschreit­ungen während der Gipfeltage und versuchte in einem Interview mit dem ZDF, den Blick auf den vielfältig­en friedliche­n Protest zu lenken: »Es sind viele junge Menschen hier, die in vielen Veranstalt­ungen und Diskussion­en alles dafür tun, um den Politikern zu sagen: Das geht so nicht weiter!«

Im Sommer wechselte Lienen beim FC St. Pauli nach zweieinhal­b Jahren als Trainer auf den Posten des Technische­n Direktors – es ist ein etwas weniger hektischer Unruhestan­d für den Uefa-Cup-Sieger von 1979, der wegen seiner akribische­n Notizen aus Trainertag­en den Spitznamen »Zettel-Ewald« verpasst bekam.

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Foto: dpa/Daniel Reinhardt Ewald Lienen

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