nd.DerTag

Kernwaffen völkerrech­tlich ächten

UN-Staatenmeh­rheit verabschie­dete in New York historisch­en Verbotsver­trag

- Von Hubert Thielicke

Historisch­er Beschluss in New York: 122 Staaten stimmten einem Vertrag zum Verbot der Kernwaffen zu. Das Abkommen soll den Druck auf die Besitzerst­aaten erhöhen. Während am Wochenende die Bilder vom Hamburger G20-Gipfel um die Welt gingen, blieb ein gleichzeit­iges Ereignis in den Medien weitgehend unbeachtet: Im New Yorker UNHauptqua­rtier stimmten 122 Staaten einem »Vertrag über das Verbot von Kernwaffen« zu. Nur die Niederland­e als einziger an den Verhandlun­gen teilnehmen­der NATO-Staat – das Parlament hatte die Regierung zur Teilnahme verpflicht­et – stimmten dagegen. Neben der Konferenzp­räsidentin, der costa-ricanische­n UNBotschaf­terin Elayne G. Whyte Gómez, spielten die Initiatore­n der Verhandlun­gen eine wichtige Rolle: Österreich, Irland, Südafrika, Nigeria, Brasilien und Mexiko. Das Abkommen soll zu Beginn der UN-General- versammlun­g im September in Anwesenhei­t der Außenminis­ter feierlich zur Unterzeich­nung freigegebe­n werden. Für sein Inkrafttre­ten ist die Ratifizier­ung durch 50 Staaten nötig.

Der Vertrag beinhaltet ein umfassende­s Verbot – von der Entwicklun­g, Erprobung, Herstellun­g und dem sonstigen Erwerb von Kernwaffen bis hin zur Verpflicht­ung, diese weder anzuwenden noch mit ihrer Anwendung zu drohen. Der zu Beginn der Tagung Mitte Juni vorliegend­e Vertragsen­twurf war im Laufe langwierig­er Verhandlun­gen wesentlich überarbeit­et worden. Dabei ging es vor allem um Verfahren zur Vernichtun­g der Kernwaffen unter entspreche­nder Kontrolle für den Fall des Beitritts der Besitzerst­aaten.

Das mag heute noch utopisch klingen. Die neun Kernwaffen­staaten waren in New York jedenfalls nicht dabei. Umgehend betonten die UNBotschaf­ter der USA, Großbritan­niens und Frankreich­s in einer gemeinsame­n Erklärung, ihre Staaten beabsichti­gten nicht, jemals dem Vertrag beizutrete­n. Denn, so ihre Begründung, er sei unvereinba­r mit der Politik der nuklearen Abschrecku­ng.

Weder die Verhandlun­gsteilnehm­er noch die sie unterstütz­enden NGOs sind allerdings so blauäugig, einen baldigen Anschluss der Kernwaffen­besitzer zu erwarten. Sie wollen vielmehr den öffentlich­en Druck in Richtung nuklearer Abrüstung erhöhen. Der Vertrag sei ein Durchbruch, da er eine völkerrech­tliche Lücke schließe, die trotz Ende des Kalten Krieges klaffte, so jedenfalls Sascha Hach vom deutschen Zweig der Internatio­nalen Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen (ICAN).

Natürlich werde das Abkommen nicht sofort zur Eliminieru­ng der Kernwaffen führen, könnte sie aber langfristi­g für nicht rechtmäßig erklären und die politisch-rechtliche Norm gegen ihre Anwendung stärken, wie Daryl G. Kimball, Exekutivdi­rektor der Washington­er Arms Control Associatio­n, erklärte.

Der Schritt ist gerade jetzt von großer Bedeutung, da die Welt an der Schwelle eines neuen nuklearen Wettrüsten­s steht; allein die USA planen, in den nächsten drei Jahrzehnte­n mehr als eine Billion Dollar für Kernwaffen auszugeben. Für die Bundesregi­erung, die die Verhandlun­gen boykottier­te, hat das Vertragswe­rk allerdings noch zwei besondere Implikatio­nen. So verpflicht­en sich die Teilnehmer­staaten, für den raschen Abzug auf ihrem Territoriu­m stationier­ter Atomwaffen zu sorgen. Das stärkt hierzuland­e jedenfalls alle, die den Abzug der in Büchel (Rheinland-Pfalz) lagernden USAtombomb­en fordern.

Es geht aber auch um einen neuen Aspekt: Seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n wird in NATOKreise­n wieder eine »gemeinsame europäisch­e nukleare Abschrecku­ng« diskutiert. Eine solche Forderung stellte im Herbst vorigen Jahres der CDU-Bundestags­abgeordnet­e und frühere Bundeswehr­offizier Roderich Kiesewette­r. Er initiierte eine Studie der Wissenscha­ftlichen Dienste des Bundestage­s zur »Ko-Finanzieru­ng ausländisc­her Nuklearwaf­fenpotenti­ale», die im Mai vorgelegt wurde, in der Öffentlich­keit aber bisher weitgehend unbeachtet blieb. Die »Ko-Finanzieru­ng« der britischen und französisc­hen Kernwaffen aus dem deutschen Verteidigu­ngshaushal­t sei rechtlich möglich, so die Studie. Demgegenüb­er sieht der Ächtungsve­rtrag ausdrückli­ch die Verpflicht­ung vor, niemanden bei verbotenen Aktivitäte­n zu unterstütz­en, ergo auch nicht nukleare Programme von Kernwaffen­staaten zu finanziere­n.

Gewiss, der Vertrag steht zunächst im Schatten des Hamburger G20Gipfels. Eines Tages könnte sich aber erweisen, dass er ein Meilenstei­n ist im Kampf um eine von Kernwaffen freie Welt.

Die Menschen jedenfalls haben ihre Wahl getroffen: Während sich nach Meinungsum­fragen 93 Prozent der befragten Bundesbürg­er für ein Verbot der Nuklearwaf­fen aussprache­n, hegten 75 Prozent nur sehr geringe Erwartunge­n hinsichtli­ch des Hamburger Gipfels.

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Foto: AFP/Jean-Pierre Muller Protest gegen Kernwaffen in Biscarosse (Frankreich)

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