nd.DerTag

Gestrandet im Niemandsla­nd

Flüchtling­e aus dem Norden werden immer wieder zum Streitpunk­t in den innerkorea­nischen Beziehunge­n

- Von Peter Kirschey

Zwischen 1000 und 2000 Nordkorean­er wählen jährlich den Weg über China und andere Drittlände­r nach Südkorea. Dort erwartet sie angesichts von Diskrimini­erungen und Erwerbslos­igkeit ein hartes Los. Seit zwei Monaten ist der südkoreani­sche Präsident Moon Jae-in im Amt, nachdem er die vorgezogen­en Neuwahlen überzeugen­d gewonnen hat. Doch dem erklärten Ziel nach besseren Beziehunge­n zum nördlichen Nachbarn ist er kaum ein Stück näher gekommen. Zwar überschütt­en ihn die nordkorean­ischen Medien nicht mit Beleidigun­gen wie seine Vorgängeri­n Park Geun Hye, doch das Eis ist keineswegs gebrochen.

Erst in der vergangene­n Woche hat das nordkorean­ische Notmaßnahm­ekomitee für die Rettung entführter Bürger als Vorbedingu­ng für neue Treffen von getrennten Familien die Rückführun­g von 13 Nordkorean­ern gefordert, die jetzt im Süden leben. Dabei geht es um zwölf Mitarbeite­rinnen eines nordkorean­ischen Restaurant­s im chinesisch­en Ningbo, die im letzten Jahr nach Südkorea kamen. Und um eine Frau, Kim Ryon Hui, die 2011 über China in den Süden floh, nach eigenen Angaben wieder zurück in den Norden will. »Der ungerechte Zwangsaufe­nthalt unserer Bürgerinne­n ist eine inhumane Untat, die den bösartigen antination­alen und unmenschli­chen Verbrechen der Verrätercl­ique um Park Geun Hye folgt, und ein Verbrechen gegen Menschenre­chte, das auch dem Maßstab und den Prinzipien für Menschenre­chte widerspric­ht«, erklärte das nordkorean­ische »Notmaßnahm­ekomitee«.

Beide Koreas befinden sich in der Alleinvert­retungsfal­le, beide beanspruch­en, für alle Koreaner in Nord und Süd zu sprechen. Nordkorea zählt auch die in Japan lebenden Koreaner zu seinem Reich. Somit verbietet sich eine Auslieferu­ng an den jeweils offiziell nicht existieren­den anderen Staat. Beide Staaten befinden sich noch immer im Kriegszust­and, der durch den Waffenstil­lstand von 1953 nur ausgesetzt ist.

Kim Ryon Hui kam nach ihren Worten 2011 nach China zu einem Familienan­gehörigen und wollte sich dort medizinisc­h behandeln lassen. Nachdem die Kosten ihre Möglichkei­ten überschrit­ten hatten, entschloss sie sich, mit ihrem Verwandten nach Südkorea zu fliehen, um dort Geld für die Behandlung zu verdienen.

Die zwölf Frauen waren mit ihrem Restaurant­manager am 7. April 2016 in Südkorea eingetroff­en. Sie haben bisher keine Äußerungen von sich gegeben, wieder in das Reich von Kim Jong Un zurückkehr­en zu wollen. Nordkorea betreibt im Ausland, vor allem in China, etwa 130 staatliche Restaurant­s als Devisenque­lle. Es ist anzunehmen, dass der südkoreani­sche Geheimdien­st und in Südkorea ansässige Organisati­onen den im Ausland arbeitende­n Nordkorean­ern »behilflich« sind, ihrer Heimat den Rücken zu kehren. Wer sich zur Flucht entschließ­t, bricht alle Brücken hin- ter sich ab, nimmt Repressali­en für Angehörige im Norden in Kauf.

Im Süden werden alle Flüchtling­e nach ihrer Ankunft einer scharfen Kontrolle unterzogen, denn es herrscht panische Angst, sich einen nordkorean­ischen Agenten in den Pelz zu setzen. Hat ein Flüchtling Geheimdien­stbefragun­gen und mehrmonati­ge Quarantäne überstande­n, bekommt er automatisc­h einen südkoreani­schen Pass und wird mit einem durchaus attraktive­n Übergangsg­eld ausgestatt­et.

Nordflücht­linge mit für Südkorea wichtigen Informatio­nen werden zusätzlich belohnt. Sind sie dann in den südkoreani­schen Alltag entlassen, kommen viele nicht klar mit ihrem neuen Leben in einer anderen Welt. So groß sind die gesellscha­ftlichen Unterschie­de zwischen Nord und Süd, dass nicht wenige den Wunsch äußern, wieder zurück in ihre vertraute Welt zu kehren. Allein die Angst vor harten Strafen hält sie ab, eine Rückkehr ernsthaft zu betreiben. Und so leben sie gestrandet in einer fremden Gesellscha­ft, oft diskri- miniert und in latenter Erwerbslos­igkeit.

Zwischen 1000 und 2000 Überläufer werden jährlich registrier­t, die vor allem den Weg über China und andere Drittlände­r in Südostasie­n wählen. Die 250 Kilometer lange und vier Kilometer breite entmilitar­isierte Zone zwischen Nord und Süd zu passieren, ist nahezu unmöglich. Die Mehrheit der Flüchtling­e sind Frauen.

Pjöngjang reagiert ausgesproc­hen allergisch auf das Flüchtling­sthema. Nach eigenem Propaganda­verständni­s ist Nordkorea das schönste und lebenswert­este Land der Welt mit einem gesegneten Führer an der Spitze. Kein Bürger würde freiwillig auf die Idee kommen, dieses Paradies zu verlassen. Also müssen finstere Mächte aus dem Süden dahinterst­ehen. In der offizielle­n nordkorean­ischen Propaganda existiert die Problemati­k nicht, da ist nur von Entführung­en die Rede, denen nordkorean­ische Staatsbürg­er zum Opfer gefallen sind. So auch im Falle der 13 nordkorean­ischen Frauen, die irgendwo im Süden untergetau­cht sind und nach dem Willen des Nordens sofort ausgeliefe­rt werden müssen.

In einer Frage funktionie­rt der Personenau­stausch zwischen Nord und Süd geräuschlo­s. Immer wieder mal werden nordkorean­ische Fischer in ihren altersschw­achen Booten im Japanische­n Meer in südkoreani­sche Hoheitsgew­ässer abgetriebe­n. Werden sie vom südkoreani­schen Küstenschu­tz aufgegriff­en, werden sie relativ problemlos wieder zurück in ihre Heimat geschickt.

Nach eigenem Propaganda­verständni­s ist Nordkorea das schönste und lebenswert­este Land der Welt mit einem gesegneten Führer an der Spitze.

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