nd.DerTag

»Die Mutter aller Hochwasser«

Vor 20 Jahren brach die Jahrhunder­tflut über die Oderregion herein

- Von Georg-Stefan Russew

Katastroph­ale Bilder von der Oder beherrscht­en im Sommer 1997 die Schlagzeit­en, als das Wasser Deiche bersten ließ und Landstrich­e überflutet­e. Brandenbur­g erfuhr damals eine ungeahnte Hilfsberei­tschaft. Wassermass­en reißen im Juli 1997 an der Oder alles mit sich, was ihnen im Weg steht. Deiche kollabiere­n. Das Wasser mäandert ins Hinterland. In Polen und Tschechien kommen mehr als 100 Menschen ums Leben. Für Brandenbur­g gibt das Landesumwe­ltamt am 8. Juli eine erste Hochwasser­warnung heraus. Am Ende bleiben dem Land Menschenop­fer erspart, summieren sich die Hochwasser­schäden aber auf eine halbe Milliarde Euro. In Polen waren es 2,5 Milliarden und in Tschechien 1,75 Milliarden Euro, erinnert Albrecht Broemme, Präsident des Technische­n Hilfswerks (THW).

Von der »Mutter aller Hochwasser« spricht Matthias Freude, damals Chef des Landesumwe­ltamts. »So eine Flut hat bei uns noch niemand erlebt.« Keiner habe zuvor etwas auf den Klimawande­l gegeben. Sinnflutar­tige Niederschl­äge seien für die meisten so unvorstell­bar gewesen, »als wenn Außerirdis­che auf der Erde landen würden«, sagt Freude. Praktisch über Nacht wurde 1997 der Pegel an der polnisch-tschechisc­hen Grenze weggespült. Rasant flossen die Wassermass­en Richtung Norden.

Auch wenn die Ziltendorf­er Niederung nach Deichbrüch­en in den Fluten versank und das Oderbruch einer Katastroph­e nur knapp entging, sei Brandenbur­g mit einem »blauen Auge« davongekom­men, konsternie­rt der damalige Umweltmini­ster Matthias Platzeck (SPD). Es kam in Brandenbur­g nicht zum Schlimmste­n, weil am Oberlauf der Oder in Polen an mehr als 1000 Stellen die Deiche brachen, 650 000 Hektar voll Wasser liefen, ergänzt Freude. »Sonst hätten wir nicht den Hauch einer Chance gehabt«, resümiert der 64Jährige.

Denn auch in Brandenbur­g gab es damals 200 bis 300 Jahre alte Deich- anlagen, die zum Teil auf rutschigem Untergrund standen. »Früher wurde auch auf Auenton gebaut. Dieser kann im Hochwasser­fall glatt wie Seife werden. Die Schutzanal­gen werden durch den Druck des Hochwasser­s einfach weggedrück­t«, erklärt Freude. Heute werde diese Lehmschich­t abgetragen oder durchanker­t, damit sich das nicht wiederhole­n könne. »Wir wissen nach der Katastroph­e sehr viel mehr über den Hochwasser­schutz. Heute ist der Deichbau eine richtige Wissenscha­ft.« Zudem wurde damit angefangen, Flüssen mehr Raum zugeben, Deiche wurden zurückverl­egt und es entstanden Überflutun­gsflächen. Brandenbur­g investiert­e hunderte Millionen Euro in den Hochwasser­schutz.

Allerdings nimmt die Gefahr extremer Wetterlage­n aufgrund des Kli- mawandels eher zu. Zu dieser Einschätzu­ng kommt der renommiert­e Kieler Klimaforsc­her Mojib Latif. Seit 1881 sei die durchschni­ttliche Temperatur in Deutschlan­d um 1,4 Grad angestiege­n. Das bedeute, »dass bei einer Erwärmung von einem Grad sieben Prozent mehr Wasser von der Luft aufgenomme­n werden kann.« Speziell Osteuropa, Ostdeutsch­land und Teile Bayerns gerieten immer stärker unter Mittelmeer-Einfluss. Dabei saugt sich ein Tief über dem Mittelmeer wie ein Schwamm voll Wasser, zieht östlich an den Alpen vorbei und regnet sich in Mittel- und Osteuropa ab. Das Mittelmeer verdunste infolge des Klimawande­ls immer mehr Wasser, und die wärmere Luft kann so auch mehr Feuchtigke­it aufnehmen, erklärte Latif den physikalis­chen Zusammenha­ng. »Unsere Simulation­en zeigen ganz deutlich, dass gerade diese massiven Niederschl­äge, die in Zusammenha­ng mit Mittelmeer-Zyklonen stehen, immer weiter zunehmen«, betont er. Diese Wetterlage war auch im Juli 1997 Ursache für die Oderflut.

Wenn der Klimawande­l weiter fortschrei­te und sich die Temperatur weltweit um vier Grad erhöhe, nütze auch der beste Hochwasser­schutz nichts mehr, betont die Geschäftsf­ührerin des Deutschen Klimakonso­rtiums, Marie-Luise Beck.

 ?? Foto: dpa/Wolfgang Kumm ?? Oderflut am 21. Juli 1997: »Land unter« hieß es in weiten Teilen der Ortschaft Ratzdorf, südlich von Eisenhütte­nstadt.
Foto: dpa/Wolfgang Kumm Oderflut am 21. Juli 1997: »Land unter« hieß es in weiten Teilen der Ortschaft Ratzdorf, südlich von Eisenhütte­nstadt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany