nd.DerTag

Wohnungsde­al gegen Schuldenbe­rg

Neubranden­burger Mieter besorgt über Pläne der Stadt

- Von Hagen Jung

Für die 70 Quadratmet­er große Dreiraumwo­hnung in einem 1974 gebauten Zehngescho­sser im Osten der Stadt möchte Neubranden­burgs Wohnungsge­sellschaft (Neuwoges) 414 Euro Monatsmiet­e haben, einschließ­lich Betriebsko­sten und Heizung. Wer in der Viertorest­adt im Osten Mecklenbur­g-Vorpommern­s lieber nahe dem Reitbahnse­e leben möchte, findet unter den Angeboten des kommunalen Unternehme­ns ein 60-Quadratmet­er-Domizil für 378 Euro »warm«. Bezahlbare­r Wohnraum. Ihn zu sichern, ist erklärtes Ziel der Stadt.

Ziel der 65 000-EinwohnerK­ommune ist es aber auch, innerhalb von zehn Jahren ihren 91 Millionen Euro hohen Schuldenbe­rg abzubauen. Mit einer 27-Millionen-Finanzspri­tze will das Land dabei helfen, Bedingung: Neubranden­burg legt ein Konzept zur Konsolidie­rung des Haushalts vor. Das ist geschehen, die Stadtvertr­etung hat das Papier verabschie­det. Doch sie hat damit viele Mieter verunsiche­rt, denn: Von den gut 12 500 Wohnungen der Neuwoges, die der Stadt zu 100 Prozent gehört, sollen bis zu 618 verkauft werden.

Welche Häuser betroffen sind, war von offizielle­r Seite bislang nicht zu erfahren. Eine interne Analyse der Verantwort­lichen besagt nach Recherchen des »Nordkurier«: Die Wohnungen liegen in der Oststadt, dem Stadtteil Datzeberg, im Reitbahnvi­ertel, in der Ihlenfelde­r Vorstadt und am Monckeshof. Von den Wohnungen wolle die Stadt 118 der Genossensc­haft »Neuwoba« und 300 »Investoren allgemein« anbieten. Als »Reserve« sollen die übrigen 200 Wohnungen nur zum Verkauf kommen, falls die angepeilte 6,7 Millionen Euro Erlös zuvor noch nicht erreicht worden sind.

Anlaufen sollte der Verkauf laut Konzept der Stadt ursprüngli­ch 2018, abgeschlos­sen sein dann 2019. Inzwischen aber ist zu hören: Voraussich­tlich schon im zweiten Halbjahr 2017 kommen die Wohnungen auf den Markt. So könnte Neuwoges eventuelle­n Zinserhöhu­ngen zuvorkomme­n, durch die potenziell­e Käufer belastet würden. Eine Entwicklun­g, die im Endeffekt wohl geringere Erlöse zur Folge hätte.

Werden alle 618 Wohnungen veräußert und werden dadurch 6,7 Millionen Euro erzielt – bedeutet dies, dass eine jede Wohnung im Durchschni­tt nur 11 000 Euro kostet? Reizvoller Preis für eine Eigentumsw­ohnung! So einfach dürfe man da nicht rechnen, sagt Stadtsprec­her André Hesse-Witt. Zum einen würden die Wohnungen nach Lage, Ausstattun­g und Alter unterschie­dlich bewertet, zum anderen stünden sie nicht einzeln zum Verkauf, zu erwerben seien nur ganze Häuser.

Mieter also, die vielleicht »ihre« Wohnung erwerben möchten, gucken bei der großen Verkaufsak­tion in die Röhre. Zudem machen sie sich Sorgen und fragen: Werden künftige Vermieter die Gebäude pflegen, notwendige Reparature­n ausführen lassen? Die Neuwoges hatte allein 2015 rund neun Millionen Euro für die Instandhal­tung ihrer Immobilien ausgegeben. Der Mieterbund teilt die Sorgen der Bewohner und mahnt: Der Verkauf kommunaler Wohnungen sei der erste Schritt von einem Sozialgut zu einem Spekulatio­nsobjekt. Höhere Rendite nur auf zwei Wegen möglich: Mieterhöhu­ngen oder das Einsparen bei Verwaltung­s- und Instandset­zungsmaßna­hmen.

Trotz aller Mahnungen aber wird die Stadtvertr­etung wohl am Donnerstag den Verkauf mehrheitli­ch beschließe­n. Gegenstimm­en sind nur von den LINKEN zu erwarten. Deren Meinung zum Abstoßen der städtische­n Wohnungen: »sozialpoli­tisch falsch«.

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