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»Jetzt gibt es noch Opfer anderer Art zu bringen«

Am Münchner Waldfriedh­of erinnert jetzt eine Stele an den ermordeten Revolution­är Gustav Landauer

- Von Rudolf Stumberger, München

Gustav Landauer hatte in der Münchner Räterepubl­ik kurzzeitig das Amt des Volksbeauf­tragten für Volksaufkl­ärung inne, die Reaktion ermordete ihn am 2. Mai 1919. Jetzt gibt es wieder ein Denkmal für ihn. Im Juni 1933 zerstörten die Nationalso­zialisten das Denkmal für Gustav Landauer auf dem Münchner Waldfriedh­of. Jetzt erinnert erneut ein Gedenkstei­n an den Kulturpoli­tiker und Schriftste­ller, der nach Niederschl­agung der Räterepubl­ik am 2. Mai 1919 von den konterrevo­lutionären Truppen ermordet wurde. Dieser Tage wurde es im Gräberfeld 95/W15 mit einem offizielle­n Akt der Stadt München eingeweiht.

Das Denkmal besteht aus einer steinernen Stele, die in der Mitte gespalten ist, aber durch eine blaue Glasscheib­e zusammenge­halten wird. Darauf ist ein Text von Landauer zu lesen: »Jetzt gibt es noch Opfer anderer Art zu bringen. Nicht heroische, sondern stille unscheinba­re Opfer, um für das rechte Leben ein Beispiel zu geben.«

Das Material der Stele besteht aus Lava-Basalt, es stehe für den Lebensweg Landauers, den dieser bis zum Schluss gegangen sei, erläuterte bei der Einweihung der Bildhauer Markus Knittel seine Wahl. Der Spalt symbolisie­re den plötzliche­n Tod des Revolution­ärs, die blaue Scheibe die Hoffnung und das Verbindend­e. Die Pflasterst­eine am Fuße der Stele signalisie­rten die Kraft, die aus dem Boden erwachse.

In einer Ansprache skizzierte Michael Stephan, der Leiter des Münchner Stadtarchi­ves, den Lebensweg Gustav Landauers, der 1870 in Karlsruhe geboren wurde. In Berlin politi- sierte er sich als Student und trat der »Freien Weltbühne« bei, wurde mit 22 Jahren Redakteur des Wochenblat­tes »Der Sozialist«. Politisch nennt er sich einen »Anarchosoz­ialisten« und steht der Geschichts­philosophi­e des Marxismus kritisch gegenüber. Statt der Weltrevolu­tion befürworte­t er sozialisti­sche Siedlungsm­odelle, mit Martin Buber verbindet ihn das Interesse an Mystik.

Im Gegensatz zu Marx sieht Landauer weder das Proletaria­t als Träger des gesellscha­ftlichen Fortschrit­ts noch einen Fortschrit­t der Geschichte überhaupt: »Es fällt uns nämlich durchaus nicht ein, künstlich eine gesellscha­ftliche Entwicklun­g zu konstruier­en, wonach – mit Naturnotwe­ndigkeit natürlich – die proletaris­che Klasse gewisserma­ßen von der Vorsehung berufen sei, die Stelle der heute herrschend­en Klasse einzunehme­n, oder gar eine Diktatur des Proletaria­ts zu begründen.« Das Proletaria­t sieht er »eng und eingeschnü­rt« und »in der Wirklichke­it gefangen wie schwermüti­ge Tiere«, das sich »unendlich viel Zeit lässt« bei der Erfüllung seines historisch­en Auftrages.

Über den Zusammenha­ng von Erlösung und Politik schreibt Landauer: »Mit jeder echten Religion war der Kommunismu­s verbunden, und echten Kommunismu­s gibt es nur unter Religiösen. Daher kommt es, dass es wirklichen, vernünftig­en, menschenmö­glichen Kommunismu­s heute nur noch in versprengt­en religiösen Sekten gibt.«

Für den Neuromanti­ker Landauer stellt das Mittelalte­r – eine »Gesellscha­ft von Gesellscha­ften« – die Bezugsfoli­e für eine Alternativ­e zur zeitgenöss­ischen industriel­l-kapitalist­ischen Gesellscha­ft dar. Eine Erneuerung könne es nur aus dem Geist der Gemeinde geben, Gesellscha­ft sieht er als anarchisti­sche Ordnung, ein »freier Zusammensc­hluß vieler Selbständi­gen«, von »einem einheitlic­hen Geist durchdrung­en«. Die Revolution ist laut Landauer nicht abhängig vom Stand der Produktivk­räfte, sondern jederzeit möglich, falls die Menschen dies wollten. Und sie führt nicht zu einem Endzustand, denn der Utopie folgt die Topie (die verwirklic­hte Utopie), aus dem wieder die Utopie entspringt und so fort.

Im Frühjahr 1917 war die Familie von Berlin in das süddeutsch­e Krumbach umgezogen, nach der Novem- berevoluti­on 1918 wird Landauer enger Vertrauter von Kurt Eisner, dem ersten Ministerpr­äsidenten Bayerns. In der Räterepubl­ik 1919 hat er für wenige Tage das Amt des Volksbeauf­tragten für Volksaufkl­ärung inne. Nach der Niederschl­agung der Räte durch die Weißen Truppen wird Landauer verhaftet und am 2. Mai 1919 im Gefängnis Stadelheim brutal ermordet.

Danach beginnt ein Kampf um das Erinnern. Ende Mai 1925 wird auf

Nach der Niederschl­agung der Räte durch die Weißen Truppen wird Landauer verhaftet und am 2. Mai 1919 im Gefängnis Stadelheim brutal ermordet.

dem Münchner Waldfriedh­of ein fünf Meter hoher Obelisk als Grabmal für den Schriftste­ller enthüllt. 1933 schleifen die Nationalso­zialisten die Stätte und die Asche Landauers wird auf den Neuen Israeltisc­hen Friedhof im Norden Münchens verbracht. Dort ruht sie zusammen mit den sterbliche­n Überresten von Kurt Eisner in einem Grab.

Dass der Münchner Stadtrat die Aufstellun­g des Landauer-Denkmals im Waldfriedh­of beschlosse­n hat, geht auch auf die Initiative einer Gruppe um den Frankfurte­r Historiker und Landauer-Herausgebe­r Siegbert Wolf und den Liedermach­er Peter Kühn zurück. Und auch in Berlin bemüht sich eine »Gustav Landauer Denkmalini­tiative«, bis Mai 2019, dem Todestag des Schriftste­llers, einen Erinnerung­sort zu schaffen.

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Foto: Rudolf Stumberger

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