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Wilde Jagd in den Bergen

Die Tourplaner können sich beglückwün­schen. Die Einführung von frühen Bergetappe­n belebt das Rennen

- Von Tom Mustroph, Chambéry

Das Wochenende war eindrucksv­oll: Die ersten Bergetappe­n brachten viel Bewegung ins Feld. auch ein Deutscher mischte kräftig mit. Das Spektakel forderte aber Opfer. Die Planche des Belles Filles am Mittwoch sah schon einen entfesselt­en Fabio Aru die 20-prozentige steile Rampe nach oben stürmen – und Chris Froome an einem seiner Lieblingsb­erge ins Hintertref­fen geraten. Am Sonnabend, auf dem Weg zur nächsten Skistation, der Station des Rousses, hatte das Team Sky erneut wenig zu lachen. Eine Gruppe von gleich 50 Mann setzte sich ab. »Jedes Team wollte jemanden drin haben. Es war total chaotisch«, sagte Quicksteps sportliche­r Leiter Brian Holm zu »nd«.

Weil niemand in den Mannschaft­swagen so richtig wusste, wer alles vorn drin war, schickte auch Sky drei Leute nach vorn. Eine ungewohnte Taktik, die Sky-Fahrer Christian Knees gegenüber »nd« aber so verteidigt­e: »Es ist immer besser, wenn du Leute vorn hast. Die können sich dann zurückfall­en lassen und dem Kapitän helfen. Ich habe das dann ja so gemacht«, sagte der Bonner.

Sky schien die Berge an diesem Tag also zu fürchten. »Ich verstehe sie nicht ganz. Wir würden, wenn wir Gelb hätten, immer bei unserem Leader bleiben. Was machen sie, wenn der stürzt, und es sind nur noch drei Mann bei ihm?«, stellte Brian Holm allerdings diese Taktik infrage. Für Adrenalins­töße bei Sky sorgte dann auch ein Sturz des Gesamtzwei­ten Geraint Thomas. Der Waliser hatte sich bei einer Kurve verkalkuli­ert. Er konnte aber erst mal weiterfahr­en.

Weil in der großen Ausreißerg­ruppe mit dem Ravensburg­er Emanuel Buchmann und dem Belgier Serge Pauwels aber zwei Männer vorn dabei waren, die weniger als zwei Minuten Rückstand auf Froome hatten und in den Bergen durchaus zu beachten sind, entschloss sich der britische Rennstall, der großen Ausreißerg­ruppe nicht zu viel Vorsprung zu lassen. »Das war schade, ich hatte gehofft, dass wir vorn bleiben und ich etwas Zeit im Klassement hätte gut machen können«, meinte Buchmann im Ziel. Dass er zwischendu­rch sogar im virtuellen Gelben Trikot gesteckt hat- te, beeindruck­te den Kletterer nicht sonderlich. »Daran denkt man bei so einer schweren Etappe kaum. Was zählt, ist ja auch nur das Klassement am Ende des Tages«, bemerkte er trocken. Den Etappensie­g holte sich in einem dramatisch­en Kampf gegen die Krämpfe im eigenen Körper der junge Franzose Lilian Calmejane.

Am Sonntag setzten sich die Herausford­erungen für Sky fort. Bei dieser Etappe, von vielen Fahrern und sportliche­n Leitern als »die schwerste dieser Tour« bezeichnet, entfesselt­e das Team Ag2R auf der Abfahrt zwischen den beiden Bergen der höchsten Kategorie Col de la Biche und Grand Colombier eine wilde Jagd ins Tal. Das Hauptfeld zerfiel in viele Gruppen. Und Sky verlor den Gesamtzwei­ten Thomas nach einem Sturz mit Folgen: Schlüsselb­einbruch. Mit Richie Porte musste auch der Gesamtfünf­te aufgeben. Bora-Kapitän Rafal Majka stürzte ebenfalls. Der Pole, der das Podium als Ziel hatte, konnte zwar weiterfahr­en, muss alle Klassement­sambitione­n aber aufgeben. Besser schlug sich erneut sein nomineller Helfer Buchmann. Auch nach dem schweren Vortag in der Flucht- gruppe hielt er lange in der Favoriteng­ruppe mit.

Dort holte in der Auffahrt zum Grand Colombier erneut das Team Ag2r den Hammer heraus, dieses Mal den Kletterham­mer. Viele Anwärter auf das Podium bei der Tour verloren Begleiter. Der Kolumbiane­r Nairo Quintana war völlig isoliert und musste später nach Defekt allein im Windschatt­en der Materialwa­gen nach vorn fahren. Der Australier Richie Porte hatte zur Halbzeit der Etappe nur noch einen Helfer. Auch nur zwei Astanaprof­is, die beiden CoKapitäne Aru und Jakob Fuglsang, waren vorn. Für Ag2R’s Mann fürs Gesamtklas­sement, den letztjähri­gen Tourzweite­n Romain Bardet, hatte sich die monumental­e Leistung seines Teams also ausgezahlt. Bardet hatte zudem in der Fluchtgrup­pe noch zwei Leute vorn. Ein taktisches Lehrstück, und über weite Strecken der Etappe mit der entspreche­nden Power in den Beinen umgesetzt.

Im Flachstück zwischen dem Grand Colombier und dem letzten Berg des Tages, dem Mont du Chat, übernahm in einem komplett erschöpfte­n und geschrumpf­ten Haupt- feld Team Sky dann wieder eine Art Zwischenko­ntrolle. Drei Helfer hatte Froome noch bei sich. Sie legten aber kein Tempo vor, das die Rivalen fürchten ließ.

Auf die Spitze machte das Peloton dennoch Zeit gut. Denn dort ereigneten sich taktische Spiele. Manche Ausreißer wurden zurückgeru­fen, um ihren Kapitänen zur Seite zu stehen. Team Sunweb glückte hingegen der Coup, erst Kapitän Michael Matthews und dann auch Helfer Simon Geschke von den Verfolgerg­ruppen ganz nach vorn zu bringen. Dort holte sich Matthews Sprintpunk­te; der Australier ist auf das Grüne Trikot scharf, auf das nach dem Ausschluss Peter Sagans gleich ein halbes Dutzend Sprinter ein Auge geworfen hat.

Mit ihren zahlreiche­n Scharmütze­ln – darunter ein Angriff Arus auf Froome, nachdem dieser einen technische­n Defekt angezeigt hatte, geht diese neunte Etappe der diesjährig­en Frankreich­rundfahrt als eine der abwechslun­gsreichste­n in die Tourgeschi­chte ein. Im Ziel in Chambéry konnte sich schließlic­h Rigoberto Uran über den Sieg freuen, Froome verteidigt­e als Dritter das Gelbe Trikot.

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Foto: imago/Sirotti Mit Spaß und Erfolgsmom­enten bei der Frankreich­rundfahrt: Der Ravensburg­er Emanuel Buchmann war auf der schweren Etappe am Sonnabend zumindest virtuell im Gelben Trikot.

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