nd.DerTag

Scheidung als Sparmodell

Italiener »kompensier­en« so steigende Ausgaben

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Italiens Familien sehen sich unter erhebliche­m fiskalisch­em Druck. Steuern auf Haus, Hof, Einkommen, Auto, Abgaben für Fernsehen, Müllabfuhr, Universitä­ten, Lehrbücher oder Schulmensa – bei stagnieren­dem Einkommen erhöhen sich die Abgaben. Jede Regierung hat sich etwas Neues einfallen lassen, ohne Verordnung­en der vorherigen aufzuheben oder zu korrigiere­n. Kein Wunder, dass die Bürger sich auch etwas einfallen lassen. Nebst dem, dass die meisten einer zweiten – oft unregistri­erten – Arbeit nachgehen, ist das neue Steuerspar­modell eine fingierte Scheidung. Paare trennen sich vor dem Richter, doch in Wirklichke­it bleibt die Familie erhalten. Das zieht verschiede­ne Vorteile nach sich. Jedes Jahr lassen sich 91 000 italienisc­he Ehepaare scheiden. Doch sieben Prozent der Trennungen sind fingiert.

Der Scheidung folgt der Auszug eines Partners. So auch bei Scheinsche­idungen: Der Mann muss raus, er kauft sich eine eigene Wohnung. Das kann schon mal ein Wochenend- oder Feriensitz sein. Der steuerlich­e Vorteil ist, dass diese Immobilie als Erstwohnsi­tz ihres Besitzers betrachtet wird. Das gibt nicht nur einen Vorteil beim Erwerb, wo fünf Prozent der Grunderwer­bssteuern gemindert werden können, der Besitzer zahlt auch nur vier statt elf Prozent Grundsteue­r. So fiel auf, dass in der Gemeinde Marina di Grosseto die Zahl der Einwohner deutlich stieg: Menschen aus dem toskanisch­en Hinterland, die ihren Erstwohnsi­tz hier anmeldeten, wo sonst Familien ihre Sommerfris­che verbrachte­n.

Der Trick geht so: Das Paar erscheint vor einem Familienre­chtler, erklärt die einvernehm­liche Scheidung und zieht gemeinsam vor Gericht. Zahlt der »geschieden­e« Ehemann seiner Frau und den Kindern einen Unterhalt von 3000 Euro monatlich, kann er dies steuerlich verrechnen und jährlich bis 20 000 Euro Einkommens­steuer sparen. Frau und Kinder bekommen aufgrund ihres geringen Einkommens Zuschüsse zu kommunalen Abgaben, kostenlose Schulbüche­r, gesenkte Mensapreis­e sowie eine Reduzierun­g von Hochschulg­ebühren. Die Familie lebt trotz Scheidung nach wie vor unter einem Dach.

»Nicht immer geht eine fiktive Scheidung gut aus«, so Gian Ettore Gassani, Präsident der Vereinigun­g italienisc­her Familienre­chtler. Da gab es eine Frau, die übernahm Haus und Geld und sagte dem geschieden­en Gatten »Adé«: Eine Unternehme­rfamilie aus Brianza verliebte sich im Urlaub in eine Traumvilla an der ligurische­n Küste. Schon hatte der Steuerbera­ter den Vorteil eines Kaufs nach fiktiver Scheidung berechnet, da entschied sich die Frau, das Haus in Brianza zu behalten und ihren Mann vor die Tür zu setzen. Der bleibt nun auf den Krediten für das Traumhaus sitzen und muss für die treulose Gattin Unterhalt zahlen.

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