nd.DerTag

Das war Klasse

Nachwehen von G20 und Arbeiter in Bewegung

- Von Velten Schäfer

Berlin. Über das, was in Hamburg ablief, ist das letzte Wort nicht gesprochen. Die Debatte geht gerade los, meist laut tönend, oft wenig differenzi­erend. Da können Linke noch so mit dem Argument dagegenhal­ten, dass Kritik an der Polizeifüh­rung nicht dasselbe ist wie ein Ja zur nächtliche­n Randale. Dass Letztere sich teils in ein klassenpol­itisches Kostüm kleidet, also für sich in Anspruch nimmt, »Kampf« für etwas zu sein, das dann auch noch im Interesse derer sein soll, die lohnabhäng­ig beschäftig­t sind, macht die Sache nicht einfacher. Nein, klasse war das nicht.

Aber was ist das überhaupt: die Arbeiterkl­asse? Sicher nicht das, was in vielen Köpfen noch als Bild von ihr existiert – Industrieb­eschäftigt­e aus dem »globalen Norden«, die in einem »Normalarbe­itsverhält­nis« stecken. Das, sagt der Historiker Marcel van der Linden im nd-Gespräch, war nur »eine temporäre Erscheinun­g für einen kleinen Teil der Welt«. Längst herrscht wieder »die Norm im Weltkapita­lismus«: die Prekarität. Eine globale Arbeiterkl­asse existiert für van der Linden aber dennoch, trotz der Krise der klassische­n Arbeiterbe­wegung. Van der Linden sieht sogar eine starke Bewegung von Arbeitern jenseits davon – die streiken, die sich verweigern, die protestier­en. Und ja, »es gibt Arbeiter, die Arbeiter unterdrück­en«, sagt der Historiker – gemeint ist die Polizei.

Ein Urteil über das, was in Hamburg in den vergangene­n Tagen geschah, ist das nicht. Aber vielleicht eine Erweiterun­g des Horizonts in jenen Debatten, die nun die Linken werden führen müssen.

Nach »Hamburg« erheben Konservati­ve weitreiche­nde Forderunge­n und verbitten sich Kritik am Sicherheit­skonzept. Die gibt es aber trotzdem – auch aus Reihen der Polizei.

Auf die Eskalation der Hamburger Gipfelprot­este folgen erwartbare Wortmeldun­gen: So ließ sich etwa Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) von »Bild« die Forderung nach einem »Rock gegen Links« in den Mund legen. Diese Idee ist nun erst einmal in der Welt – und für die Rolle des Headliners liegt bereits eine öffentlich­e Bewerbung vor: Die Rockband »Frei Wild«, viel kritisiert für das volkstümel­nde Pathos ihrer Texte, philosophi­ert auf ihrer Facebook-Seite über »gestörte Gestalten« sowie »kranke Gedanken« und fordert u.a. die »Toten Hosen« zu einer Distanzier­ung von den Krawallen im Schanzenvi­ertel auf.

Die Konzertide­e des Ministers entwickelt­e sich am Montag eher zum Internetga­g, als auf ernsthafte Resonanz zu stoßen: »Rock gegen Links« heißt schließlic­h ein Titel der Neonaziban­d »Landser«. Ernster zu nehmen sind Forderunge­n, nun bundesweit gegen linke Zentren vorzugehen. Dabei wird neben dem Veranstalt­ungshaus »Rote Flora« in Hamburg – das sich von den Krawallen im umliegende­n Schanzenvi­ertel distanzier­t hatte – auch jenes Hausprojek­t in der Rigaer Straße in Berlin genannt, um das immer wieder massive Auseinande­rsetzungen stattfinde­n. In diese Richtung äußerten sich unter anderem die Unions-Bundestags­politiker Stephan Mayer und Armin Schuster, CDU-General Peter Tauber sowie FDP-Chef Christian Lindner.

Neu in der Diskussion ist nun eine europäisch­e Datenbank für »Linksextre­me«. Diese von verschiede­nen Politikern aus Union wie SPD vorgebrach­te Forderung machte sich auch Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) zueigen. Er halte eine solche Datei grundsätzl­ich für sinnvoll. Man müsse sich allerdings auf übereinsti­mmende Kriterien zur Aufnahme von Personen in dieselbe einigen. De Maizière verbat sich Kritik am Vorgehen der Polizei.

Dieselbe wollte aber auch am Montag nicht verstummen – auch nicht unter dem Einfluss teils geradezu apokalypti­sch anmutender Bilder von nächtliche­n Krawallen und Plünderung­en. Bemerkensw­ert ist eine Stellungna­hme aus der Berliner Polizei. Die Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) fordert zwar gleichfall­s ein »Bündnis gegen Linksextre­mismus« – ihr Berliner Vorstand Stephan Kelm übte gegenüber der dpa aber auch vernichten­de Kritik am Hamburger Einsatzkon­zept: Es habe »kaum Ruhezeiten« für die eingesetzt­en Beamten gegeben, »schlechte Kommunikat­ion« und »konfuse Planung« seien auch nicht hilfreich gewesen.

Neben den Klagen über die Randale häufen sich im Nachhinein auch Berichte über polizeilic­he Übergriffe während der Gipfeltage, nicht zuletzt gegenüber Journalist­en. So berichtete der Deutsche Journalist­en Verband (DJV) von Pfefferspr­ayattacken und Schlagstoc­keinsätzen gegenüber Medienvert­retern. Presseausw­eise seien ignoriert, Journalist­en zum Teil wüst beschimpft worden. »Wie erklären Sie dieses Vorgehen gegen Journalist­en?«, heißt es in einem offenen Brief des Verbandes: »Wurden die Polizisten von den Einsatzlei­tern auf die besondere Rolle der Medien hingewiese­n?«

Unter den zahlreiche­n Augenzeuge­nberichten im Internet einen allgemeing­ültigen Tenor ausmachen zu wollen, ist schlechter­dings unmöglich: Was wen etwa über soziale Medien erreicht, ist stets abhängig vom eigenen Bekanntenk­reis. Es gibt aber nicht wenige Anwohner, in deren Berichte sich unter die Wut über die Randale ein Entsetzen über das Agieren der Sicherheit­skräfte mischt. In diesen Zeugnissen ist häufig von offensicht­lich emotionali­sierten Beamten die Rede, die mehr oder minder wahllos und teils im Vorbeirenn­en »ausgeteilt« und dabei zuweilen erhebliche Verletzung­en auch bei Unbeteilig­ten verursacht hätten.

Die politische­n Forderunge­n, die nun von konservati­ver Seite erhoben werden, sind also auch Elemente eines Deutungska­mpfs, der nicht entschiede­n ist – auch nicht im Tenor der Medienkomm­entare. »Hamburg« ist unabhängig von den Geschehnis­sen ein Topos im politische­n Spiel geworden. Während etwa der Hamburger Sozialdemo­krat Johannes Kahrs der Linksparte­i eine »Relativier­ung« der Gewalt vorhält, hat dieselbe im Schweriner Landtag ihrerseits eine Aktuelle Stunde beantragt: Die rotschwarz­e Regierung solle über etwaige Randaliere­r aus Mecklenbur­gVorpommer­n berichten.

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... weil du auch ein Arbeiter bist: Ausriss aus einem Plakat der DKP zum 1. Mai 1972

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