Maulkorb per Handzettel
Schwere Vorwürfe wegen Benachteiligung von und Härte gegen Journalisten im Umfeld des G20-Gipfels
So bald wird das politische Deutschland nach dem G20-Gipfel in Hamburg nicht zur Ruhe kommen. Zu den bisherigen Vorwürfen wegen der schweren Krawalle kommen nun neue. Während Forderungen nach mehr Härte gegen Linksextremisten die Runde machen und Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) an die EU-Länder appelliert, Randalierer schnellstens an Deutschland auszuliefern, werden bei der Betrachtung der Ereignisse in Hamburg neue Vorwürfe gegen Behörden und Polizei laut. Eine Schwarze Liste mit den Namen von Journalisten sei in den Reihen der Bereitschaftspolizei kursiert, auf der die Namen von angeblich 32 Journalisten vermerkt waren – denen die Zugangserlaubnis zum Medienzentrum wegen Sicherheitsbedenken entzogen wurde, nachdem ihre Überprüfung bereits erfolgt und die Akkreditierung erteilt war. Acht Journalisten sollen mit der Entscheidung konfrontiert worden sein, die übrigen seien nicht im Pressezentrum erschienen. Die Namen aller 32 Journalisten sowie Dutzender weiterer Personen, offenbar vom Servicepersonal, waren als Handzettel unter der Bereitschaftspolizei verteilt worden, worin Hamburgs Datenschutzbeauftragter Johannes Caspar eine diskriminierende Maßnahme erkennt. Maßnahmen zum Datenschutz wären zwingend gewesen, kritisiert Caspar. Berichten zufolge wollen er und die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Andrea Voßhoff, der Sache nachgehen.
Aufgrund welcher Sicherheitsbedenken die Journalisten ihrem Beruf nicht nachgehen durften, ist nicht nur für die Beteiligten von Interesse, sondern berührt empfindlich die ganze Journalistenzunft, die bei der Einschränkung der Pressefreiheit keinen Spaß versteht. Die Deutsche Journalisten-Union (dju) kündigte umgehend juristische Schritte an. »Wir haben die Juristen in Marsch gesetzt«, sagte Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Sprecher der Bundesregierung Steffen Seibert wollte vor der Bundespressekonferenz zu den Sicherheitsbedenken nichts Näheres sagen – aus »Gründen des Persönlichkeitsrechtsschutzes«.
Einen besonders konfliktträchtigen Verdacht wies Seibert am Dienstag zurück. Einer ARD-Recherche zufolge waren einige der Betroffenen bereits mit türkischen Behörden in Konflikt geraten. Die Vorstellung, dass die Sicherheitsbedenken nicht vom Bundeskriminalamt, sondern von türkischen Behörden vorgebracht worden wären, führte umgehend zu empörten politischen Reaktionen. Die Zugangserlaubnis sei den Journalisten allein auf Grundlage von Erkenntnissen deutscher Behörden entzogen worden, teilte Seibert schließlich am Nachmittag mit.
Hier zieht dennoch neues Ungemach herauf. Denn es mehren sich auch Berichte über Polizeigewalt gegenüber Journalisten, wie der Berufsverband DJV mitteilte. Es habe Pfefferspray-Attacken und Schlagstockeinsätze gegeben. Presseausweise seien ignoriert, Journalisten wüst beschimpft worden. Der Verband will dem nachgehen.
In dieser Zeitung hieß es vor wenigen Tagen, dass die, die während der Proteste gegen den G20Gipfel in Hamburg Autos in Brand steckten, damit die Lebensentwürfe in Frage stellten, in denen der Besitz eines Autos für sozialen Erfolg steht. Darin steckt viel Wahrheit. Das linksautonome Milieu braucht wie jede Form der Subkultur seine Ikonographie des Protests, mit der es sich zum einen von der Gesellschaft, zu der es gehört, die es aber in all ihrer als Verlogenheit empfundenen Widersprüchlichkeit und Kompromissfähigkeit ablehnt, abgrenzt, mit der seine Mitglieder zum anderen aber auch Fanale der Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe setzen können.
Und diese Zugehörigkeit hat ihren schärfsten Ausdruck in der kompromisslosen Trennung zwischen dem Wir und den Anderen sowie in der Fokussierung auf eben jenes Andere. Im Tunnelblick des Aktivisten gerät so politisches Engagement gegen Neonazis ebenso leicht zum bloßen Fetisch wie der Protest gegen den G20-Gipfel.
Einer, der in diesem Tunnel feststeckt, ist Sören Kohlhuber, der bis vor wenigen Tagen für das von »Zeit-Online« betriebene Weblog »Störungsmelder« tätig war, einem Projekt, das 2007 als Informationsmedium gegen Rechtsextremismus gegründet wurde. Für das Blog arbeiten mehr als 50 ehrenamtliche, freie Autoren. Die Arbeit des Blogs ist wichtig, weil es die Öffentlichkeit über Rechtsextremismus aufklärt.
Das Weblog hat sich jetzt von Kohlhuber getrennt. Grund dafür ist nicht nur der, dass Kohlhuber via Twitter mitteilte, jeder Stein, der in Richtung der Polizei flog, habe »seine Berechtigung«. Der für den G20-Gipfel akkreditierte Autor hatte bei den Demos andere Berichterstatter fotografiert, die er der rechten Identitären Bewegung zurechnete, und die Steckbriefe auf Twitter veröffentlicht. Die Betroffenen wurden von linken Demonstranten angegriffen und bedroht. Neben Kohlhuber kündigte der »Störungsmelder« noch einem anderen linken Aktivisten die Zusammenarbeit auf, der, so das Weblog, in seinem privaten Account die Gewalt durch Demonstranten ebenfalls verherrlicht habe.