Schlagfertige Integration
Die SG Aufbau Eisenhüttenstadt wird für ihre Integrationsleistungen ausgezeichnet
Eisenhüttenstädter erhalten Preis für das Boxen mit Flüchtlingen.
Die Boxabteilung des SG Aufbau in Eisenhüttenstadt erhält an diesem Donnerstag in Berlin für ihre integrative Arbeit das Band für Mut und Verständigung. Ein Ortstermin. Als Khusein Kubeev das erste Mal in der Boxabteilung der SG Aufbau stand, hat er verschüchtert zu Boden gestarrt und sich nicht gerührt. Zu diesem Zeitpunkt hätte niemand gedacht, dass der tschetschenische Flüchtlingsjunge einige Monate darauf Deutscher Meister im Boxen wird. Eine Erfolgsgeschichte: in der Boxabteilung der SG Aufbau Eisenhüttenstadt trainieren und kämpfen Kinder und Jugendliche in ein und derselben Halle am alten Trockendock – ob Mädchen oder Jungs, Geflüchtete oder Einheimische.
Draußen hängen Aufkleber, die den »nationalen Sozialismus« fordern, weiße Jugendliche mit Millimeterhaarschnitt radeln an Asylbewerbern der Erstaufnahmestelle vorbei. Beide Seiten beäugen sich argwöhnisch. Auf dem Gelände jedoch drehen Flüchtlingsjungs und einheimische Mädchen gemeinsam ihre Auslaufrunden. Das ist ein Kontrastbild zu den Meldungen über ausländerfeindliche Ausschreitungen, mit denen es der östliche Rand der Bundesrepublik oft in die überregionale Presse geschafft hat.
Die Boxer aus Eisenhüttenstadt wurden nun für würdig befunden, an diesem Donnerstag mit dem »Band für Mut und Verständigung« ausgezeichnet zu werden. Zum 24. Mal bereits wird der vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Anfang der 1990er Jahre ausgelobte Preis verliehen. Anlässlich der Welle an Übergriffen auf Flüchtlinge und Ausländer wollte der DGB Berlin-Brandenburg diejenigen unterstützten, die sich für ein friedliches Miteinander einsetzen.
Doch was ist »friedlich« am Boxen? Was sagt Frank von Mersewsky, einer der Trainer bei der SG Aufbau? »Die sollen sich hier auspowern«, antwortet der Trainer knapp. Ist dies das Rezept, um Konflikten vorzubeugen zwischen den Einheimischen und den jungen geflüchteten Männern, von denen viele ohne Familie nach Deutschland gekommen sind?
Das sächsische Hoyerswerda ist nicht weit. Da gab es doch diese Geschichten: deutsche Mädchen angemacht, angeblich, Stress angezettelt, Neonazis rotten sich zusammen, jagen die Flüchtlinge durch die Stadt und so weiter.
Doch hier in der Boxhalle läuft es anders, hier werden andere Geschichten erzählt. Frank von Mersew- sky berichtet: Letztens ist er von einer Mutter via Facebook wütend angeschrieben worden. Warum er den Flüchtlingen das Boxen beibringe? Ihr Sohn sei grundlos von einem seiner Jungs geschlagen worden. Dann hat man sich in der Schule getroffen und über den Vorfall geredet, erzählt der Trainer. Hinterher kam raus, dass sein Schützling sich nur verteidigt hatte, selber angegangen wurde.
Doch nicht um Selbstverteidigung geht es beim SG Aufbau, sondern um Sport. »Wir wollen zu Wettkämpfen fahren und da gewinnen«, sagt Frank von Mersewsky. Wenn man so ein Talent wie Khusein im eigenen Boxstall hat, will man das nicht wieder hergeben. Doch das könnte jeden Tag passieren. Der Asylantrag der Familie ist abgelehnt worden, sie sitzt auf gepackten Koffern. »Wir sind am Machen und Rotieren«, man will irgendwie ein Aufenthaltsrecht erkämpfen, weil der Junge den Verein sportlich voranbringt. »Mir ist das egal, ob hier ein Tschetschene, ein Afghane oder ein Deutscher kommt«, versichert der Trainer. Angefangen hat das alles, als er erfuhr, dass ein alter Boxer als Ehrenamtler in der Aufnahmestelle mit Jugendlichen trainiert hat. Da sei man dann rüber, habe altes Trainingsmaterial abgegeben, Boxsäcke aufgehängt. Irgendwann kamen die Jugendlichen ins Trockendock.
In der Halle hält derweil Mashal aus Afghanistan Pratzen in die Luft. Drei kleinere Jungs schlagen abwechselnd auf die Trefferflächen, die er anzeigt. Vor kurzem hat sich Mashal beim örtlichen Stahlbauer um einen Ausbildungsplatz beworben. Er rechnet sich Chancen aus, auch, wenn es mit der deutschen Sprache noch nicht so gut klappt. Die Schule kommt an erster Stelle, aber dann wollen viele Jugendliche so viel Zeit beim Boxen verbringen wie nur möglich. Mashal ist mittlerweile aus der Aufnahmestelle in eine betreute Unterkunft umgezogen. Auch sein Asylantrag wurde abgelehnt, aber ein Ausbildungsplatz würde seine Bleibechancen deutlich verbessern. Auch er hat bereits bei den deutschen Meisterschaften mitgeboxt.