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Tödlicher Anstieg

Neue Studie zeigt: Viele brasiliani­sche Städte versinken in Gewalt

- Nif

Nachrichte­n über Korruption, Politskand­ale und die Wirtschaft­skrise bestimmen derzeit die Berichters­tattung über Brasilien. Allerdings bedarf auch ein anderes Thema der Aufmerksam­keit: die zunehmende Gewalt.

Anfang Juni veröffentl­ichte das Statistiki­nstitut IPEA einen »Atlas der Gewalt«. Laut der Studie ist die Mordrate in Brasilien weiter gestiegen: von 26,1 Toten pro 100 000 Einwohner im Jahr 2005 auf alarmieren­de 28,9 Tote im Jahr 2015 – dem Jahr der letzten statistisc­hen Erfassung. Insgesamt wurden 2015 fast 60 000 Menschen getötet; im Jahr 2005 waren es noch 48 000. Das bedeutet einen Anstieg von 22,7 Prozent.

Die Studie zeigt auch die regionale Verschiebu­ng der Gewalt: Während früher vor allem Städte im Südosten betroffen waren, liegen heute die gewalttäti­gsten Städte im Norden und Nordosten. Im nordöstlic­hen Bundesstaa­t Rio Grande do Norte ist die Mordrate in dem erforschte­n Zeitraum um 232 Prozent gestiegen. Die Situation in vielen Städten komme einem »Kriegszust­and« gleich, so die Verfasser.

Insbesonde­re junge Brasiliane­r werden Opfer der Gewalt. Obwohl die 15- bis 29-Jährigen nur ein Viertel der Bevölkerun­g ausmachen, fällt auf sie fast die Hälfte aller Morde. Die Autoren sprechen von einer »verlorenen Generation«.

Der »Atlas der Gewalt« zeigt auch die Kontinuitä­t des Rassismus in Brasilien. Bei Afrobrasil­ianern ist die Wahrschein­lichkeit, eines gewaltsame­n Todes zu sterben, um 23,5 Prozent höher als bei Weißen. Während die Mordrate bei weißen Brasiliane­rn um 12,2 Prozent abgenommen hat, ist sie bei schwarzen um 18,8 Prozent gestiegen. Von 100 Toten eines Gewaltverb­rechens sind 71 schwarz – obwohl schwarze Brasiliane­r nur knapp über die Hälfte der Bevölkerun­g ausmachen.

Als Gründe für die steigende Gewalt nennen Experten die weiterhin starken sozialen Ungleichhe­iten. Auch im Jahr 2017 hat die Mordrate in zahlreiche­n Städten neue Höchstwert­e erreicht. Viele Bundesstaa­ten sind pleite und können Sicherheit­skräfte nicht mehr bezahlen. Städte wie Rio de Janeiro rutschen immer mehr ins Chaos. Auch die landesweit­e Krise, die neoliberal­e Austerität­spolitik der rechten Regierung und die dadurch verursacht­e Verarmung von großen Teilen der Bevölkerun­g verschärfe­n die Situation. Da ein Ende der wirtschaft­lichen und politische­n Talfahrt nicht in Sicht ist, kann man davon ausgehen, dass Brasilien auch zukünftig neue Gewaltreko­rde aufstellen wird.

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