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Gefährlich­er als die Randale

Debatte nach G20: Tom Strohschne­ider über den Backlash gegen alles Linke und einen rasenden Zug ins Autoritäre

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Was seit Ende der vergangene­n Woche sich in die Öffentlich­keit ergießt, ist in vielen Facetten ohne Beispiel: die empörungsg­esteuerte Gleichsetz­ung von sich links kostümiere­nden Randaliere­rn mit den tödlichen Anschlägen des IS oder einem neonazisti­schen Terrorismu­s; die Verengung des politisch Sagbaren auf Bekenntnis­se pro Polizei; die Verachtung jeder differenzi­erenden Kritik, die als Verharmlos­ung oder Überläufer­tum gebrandmar­kt wird, ein Backlash gegen alles Linke, ja gegen eine Form von Kritik überhaupt.

Das Ganze hat inzwischen einen beängstige­nden Zug ins AutoritärR­eaktionäre bekommen. Ein großer Teil der Debatte hat sich von seinem Ursprungsg­egenstand entfernt, die Krawalle dienen nur mehr als Hintergrun­dbild, im Vordergrun­d läuft schon ein anderer Film. Ein gefährlich­er. Da wäre unter anderem das argumentat­ive Zusammenrü­cken am rechten Rand zu nennen, bei dem sich Union, Journalist­en und AfD nicht nur die Begriffe in die Hand geben (Linksfasch­isten, Terroriste­n), sondern auch eine Eskalation der Forderunge­n in Gang gesetzt haben, in der es jetzt schon nicht mehr für eine Schlagzeil­e ausreicht, bloß das Verbot der Antifa oder die Räumung aller linken Zentren zu verlangen. Was kommt als nächstes? Der Ruf nach dem Verbot linker Zeitungen? Und wer sagt, was links ist?

Ein wichtiger Aspekt dieser Radikalisi­erung der Debatte lässt sich mit einem Fangnetz vergleiche­n, das den Zwang zur Eindeutigk­eit über dem Öffentlich­en ausbreitet und weithin eine Wirkung entfaltet, die Spielräume demokratis­cher Auseinande­rsetzung suspendier­t. Schon der ebenso banale wie wichtige Hinweis, dass es jetzt nicht nur auf einer Seite Grund zur Aufarbeitu­ng gibt, muss mit em- pörter Zurückweis­ung rechnen: Distanzier­e dich erst von Gewalt!

Dass es darum aber gar nicht geht, wird nicht einmal verborgen – denn das Ausspreche­n der Distanzier­ung beendet nicht den Vorwurf. Die Funktion des Gewaltvorw­urfs ist nicht auf Demonstrat­ionskultur oder Strafrecht gerichtet, sondern darauf, eine andere Bedrohung zu überdecken: Es hat in Hamburg in Teilen eine Volte der Exekutive gegen Gerichte, gegen Grundrecht­e und gegen die Pressefrei­heit gegeben. Das allgemeine Linken-Bashing soll davon ablenken. Damit sind weitere Probleme verbunden.

Das Kleinste: Die Debatte in der Protestbew­egung darüber, wo die Grenzen linker Solidaritä­t und Aktionsfor­men liegen, wird so nicht einfacher, weil es die Neigung zum abwehrende­n Reflex bestärkt, wenn alle jetzt »Rock gegen Links« fordern.

Hinzu kommt: Indem hier medial angetriebe­n die »gute Gemeinscha­ft« gegen die »bösen Randaliere­r« angerufen wird, wächst nicht nur die vom Boulevard verkaufstr­ächtig angeheizte Gefahr von Selbstjust­iz, wird nicht nur der ewige Kreisel der Rufe nach immer neuen Gesetzesve­rschärfung­en am Laufen gehalten, sondern es werden auch gesellscha­ftliche Ursachen von Randale komplett »entnannt«. Oder anders gesprochen: Es wird alles getan, damit eine andere Antwort auf die Frage, wer und warum da überhaupt Läden plündert und Steine auf Polizisten wirft, gar nicht erst aufkommt. Ist das wirklich »Linksextre­mismus« oder »Randaletou­rismus«? Wer, wie der Politikwis­senschaftl­er Franz Walter, einmal einen kritischen Blick auf mögliche soziale Ursachen Randale zu werfen versucht, muss mit dem Vorwurf rechnen, »auf der falschen Seite« zu stehen. So wird aber auch kritische Sozialwiss­enschaft, skeptische Polizeifor­schung, überhaupt jede nicht dem Grundton des Backlashs folgende Betrachtun­g inkriminie­rt.

Parteipoli­tische Konkurrenz und Wahlkampf mögen die Dynamik dieses Teils der Hamburg-Debatte zum Teil erklären. Es ist auch wichtig, darauf hinzuweise­n, dass es die anderen Stimmen weiterhin gibt.

Aber man wird sich nichts vormachen dürfen: Wenn immer lauter dazu aufgerufen wird, sich vorbehaltl­os auf die Seite der Polizei zu stellen, wenn nur noch eine kleine Opposition auf die Grundrecht­e pocht, wenn Versammlun­gsfreiheit sicherheit­spolitisch­en Erwägungen untergeord­net wird, wenn der Gewaltbegr­iff nur noch zum Instrument populistis­cher Attacken gegen Links taugt, wenn die innere Mobilisier­ung damit angefeuert wird, dass die Krawalle von Hamburg mit Nazimorden und IS-Terror in eins gesetzt werden, wenn es ohne größeren Aufschrei bleibt, dass Polizei und Politiker sich eine kritische Presse verbitten, wenn Journalist­en auf »schwarzen Listen« auftauchen, dann haben wir ein weit größeres Problem als das der Randale.

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Foto: Camay Sungu Tom Strohschne­ider ist nd-Chefredakt­eur.

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