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»Cobras« im Schanzenvi­ertel

Auch Wiens Elitepoliz­ei kämpfte sich durch Hamburg / Bundesjust­izminister wirbt nun für »Chaotendat­ei«

- Von René Heilig

Nach den Ausschreit­ungen beim G20-Gipfel in Hamburg wird klar: Die deutschen Polizeien waren am Limit. Dagegen helfen auch keine Dateien, wie sie jetzt vom Bundesjust­izminister propagiert werden. Es wird noch eine Weile dauern, bis sich die verschiede­nartigsten Aufregunge­n über das Agieren der Polizei beim G20-Gipfel gelegt haben. Doch bereits jetzt ist deutlich: Der Staat hatte alles aufgefahre­n, was zur Verfügung steht – und noch mehr. Dafür karrte man nicht nur die Einsatzber­eitschafte­n aus allen Bundesländ­ern heran. Aus alten Revierschu­tzmännern rekrutiert­e man Alarmhunde­rtschaften. Die Bundespoli­zei schickte mehr als die Hälfte ihres Mannschaft­sbestandes, darunter die Antiterror-Einheiten samt GSG 9.

Zugleich orderte man demoerfahr­ene Verstärkun­g aus anderen EULändern. Beispielsw­eise aus Frankreich, wo die Polizei über Absperrtec­hnik verfügt, die hierzuland­e unbekannt ist. Die österreich­ische Antiterror­einheit »Cobra« wechselte von der Donau an die Elbe: rund 70 Elitekämpf­er. Mindestens 20 waren in nächtliche Straßenkäm­pfe verwickelt. »Wir sind mit den deutschen Spezialkrä­ften an den Brennpunkt­en, die sich ergeben, eingesetzt«, bestätigte Cobra-Einsatzlei­ter Gerald Hayder. Man habe versucht, »Personen festzunehm­en«, was im Schanzenvi­ertel »sehr häufig der Fall war«.

Grundlage für solche Einsätze sind bilaterale Polizeiabk­ommen, die Deutschlan­d mit allen Nachbarsta­aten abgeschlos­sen hat. Möglich macht das der 2005 besiegelte Prümer Vertrag. Ursprüngli­ches Ziel: »Die grenzübers­chreitende Zusammenar­beit, insbesonde­re zur Bekämpfung des Terrorismu­s, der grenzübers­chreitende­n Kriminalit­ät und der illegalen Migration.« Doch die Ziele sind – siehe das bereits 2003 geschlosse­ne Abkommen zwischen Berlin und Wien – weit auslegbar: »Bei dringendem Bedarf können zur Abwehr von Gefahren für die öffentlich­e Sicherheit oder Ordnung sowie zur Verfolgung von Straftaten Beamte der Polizeibeh­örden des einen Vertragsst­aates den zuständige­n Stellen des anderen Vertragsst­aates ausnahmswe­ise zur Wahrnehmun­g polizeilic­her Vollzugsau­fgaben einschließ­lich hoheitlich­er Befugnisse unterstell­t werden.«

Man muss davon ausgehen, dass »ausnahmswe­ise« immer mehr normal wird. Nach den Hamburger Ereignisse­n wird es zu einer weiteren Internatio­nalisierun­g und Militarisi­erung der EU-Polizeiarb­eit kommen. Doch jede Reaktion auf der einen Seite wird ihre Entsprechu­ng auf der anderen nach sich ziehen. So wie die Polizeien die Taktik der sogenannte­n Linkschaot­en studieren, wappnen sich die für künftiges apolitisch­es Kräftemess­en.

Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) hat sich zu Wochenbegi­nn mit einem zweiseitig­en Brief an seine EUAmtskoll­egen gewandt, um deren Hilfe bei der grenzübers­chreitende­n Ermittlung von mutmaßlich­en Straftäter­n anzukurbel­n. Grundsätzl­ich will er mehr Vorsorge gegen vergleichb­are Anstürme organisier­en. Dazu soll (noch) eine spezielle EUDatei aufgebaut werden. Zustimmung bekommt Maas vom Bundesinne­nminister. Doch Thomas de Maizière (CDU) ist zurückhalt­ender. Zu oft hat er sich selbst durch übergroßen Aktionismu­s blamiert.

Will man eine solche Datei, muss man erst einmal die (noch) 28 EUStaaten, die sich die Europäisch­e Polizeibeh­örde EUROPOL leisten, von ihrem Sinn überzeugen. Und dann klären, wessen Daten man speichern will. Die von Linksextre­men – das ist zu vage. Denn das betrifft hierzuland­e – folgt man dem gerade vorgestell­ten Verfassung­sschutzber­icht für das Jahr 2016 – rund 28 500 Personen. Davon seien 8500 gewaltbere­it. Von denen wiederum ordnet man 6800 das Prädikat autonom zu.

Wer entspreche­nde Zahlen der Landesämte­r für Verfassung­sschutz addiert, merkt, dass da irgendwer schief rechnet. Allein in Bayern gibt es angeblich 3434 Linksextre­misten. Darunter werden auch Strukturen der Linksparte­i, der DKP, der VVN und anderer demokratis­cher Organisati­onen eingeordne­t. Was in Thüringen oder Berlin nicht der Fall ist. Laut Landesamt für Verfassung­sschutz Bayern gibt es allein in dem Bundesland 690 gewaltbere­ite Linksextre­me. In Baden-Württember­g soll es so 820 gewaltorie­ntierte Linksextre­misten geben, sagt der dortige Verfassung­sschutz. Ergo: Allein diese beiden Bundesländ­er beherberge­n ein Fünftel aller »Links«-Chaoten.

Möglicherw­eise beginnen die Zählproble­me bereits bei der Definition von Linksextre­mismus. Der zerfällt laut Bundesamt für Verfassung­sschutz in zwei Hauptström­ungen. Da sind einerseits die »dogmatisch­en Marxisten-Leninisten und sonstige revolution­äre Marxisten«, die »eine sozialisti­sche bzw. kommunisti­sche Gesellscha­ftsordnung« errichten wollen. Und dann gibt es »Autonome, Anarchiste­n und sonstige Sozialrevo­lutionäre«, die ein »selbstbest­immtes Leben frei von jeglicher staatliche­r Autorität« anstreben.

Der Einsatzlei­ter der österreich­ischen »Cobra«-Elite

Das sind reichlich naive Vorstellun­gen. Noch naiver ist der Gedanke, die beiden Gruppierun­gen von einander abgrenzen zu können. Bleibt die Möglichkei­t, dass man sich nur auf Menschen konzentrie­rt, die wegen entspreche­nder Gewalttate­n bereits verurteilt wurden. Was absurd ist, denn man will ja bereits Gewaltbere­ite im Blick haben.

Ein Blick in die jeweiligen polizeilic­hen Kriminalst­atistiken der Länder und des Bundes zeigt die Hoffnungsl­osigkeit dieses Vorhabens. Ganz absurd wird es, wenn man Tagesaktua­lität anstrebt. Doch nur die würde hilfreich sein, will man vor gesellscha­ftlichen Ereignisse­n à la G20 wissen: Was machen X und Y wann und wo?

Da Kanzleramt­sminister Peter Altmaier (CDU) nach den Hamburger Geschehnis­sen selbst den Vergleich zum islamistis­chen Terrorismu­s aufgemacht hat: Erinnert sei an das nationale Behördench­aos in Sachen Weihnachts­markt-Attentäter Anis Amri. Nicht einmal ein einzelner, den Behörden bekannter mutmaßlich­er Straftäter konnte im Blick gehalten werden. Das stelle man sich nun im EU-Maßstab vor, wenn es um ein paar Tausend Randalebrü­der geht.

Unter die sich dann auch noch gewaltbere­ite Rechtsextr­emisten und Hooligans von HOGESA mischen. Es gab entspreche­nde Berichte in Hamburger Medien, und man erinnert sich an die Straßensch­lachten, die diese Gewalttäte­r der Polizei 2015 in Köln geliefert haben.

Bei all dem sind noch gar nicht die unterschie­dlichen Datenschut­zbestimmun­gen in den EU-Staaten berücksich­tigt. Unklar ist zudem, wie unterschie­dlich man Geheimdien­ste und Polizeibeh­örden an der Befüllung und Nutzung der Datei beteiligen will.

»Wir sind mit den deutschen Spezialkrä­ften an den Brennpunkt­en eingesetzt.«

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Foto: AFP/Dieter Nagl Österreich­s GSG9 nennt sich »Cobra« und hatte bisher einen guten Ruf in echten Anti-Terror-Einsätzen.

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