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Das Feld von hinten aufgerollt

Israels ehemaliger Ministerpr­äsident Barak: Gabbay ist unser Jeremy Corbin

- Von Oliver Eberhardt

Israels Arbeitspar­tei hat einen neuen Vorsitzend­en gewählt: Der 50jährige Ex-Manager Gabbay soll die Sozialdemo­kraten an die Macht zurückführ­en. Doch von alter Größe ist die Partei weit entfernt. Eine »Revolution« erlebe man gerade, schrieb der ehemalige Ministerpr­äsident Ehud Barak auf Facebook, »eine schöne Revolte« sei es, sagte er dann kurz darauf dem israelisch­en Armeerundf­unk: »Die Mitglieder der Arbeitspar­tei haben deutlich gesagt, dass es so nicht weiter gehen kann.«

In einer Urwahl wählten die Parteimitg­lieder am Montag den 50-jährigen Avi Gabbay zum Vorsitzend­en – und damit nicht nur einen weitgehend­en Politikneu­ling, sondern auch jemanden, der bis Dezember nicht einmal Parteimitg­lied war. Es ist das erste Mal überhaupt in der Geschichte der Partei: Seit sich 1968 drei linke Parteien zur Arbeitspar­tei zusammensc­hlossen, hatte die Partei nie jemanden zum Vorsitzend­en gewählt, der nicht der sozialdemo­kratischen Spitze des Landes angehörte. Gabbay hat dies nun geändert.

Seit seinem Parteieint­ritt erarbeitet­e er sich die Unterstütz­ung von Gewerkscha­ftern und Vertretern jener Gruppen, die 2011 die Proteste für soziale Gerechtigk­eit maßgeblich mitgetrage­n hatten, dann in die Arbeitspar­tei eintraten und dort dann vor der »Parteiaris­tokratie« (die Abgeordnet­e Stav Schaffir) auf hintere Listenplät­ze zurückweic­hen mussten.

Schon vor der Wahl machten viele Parteimitg­lieder ihre Erwartung deutlich, dass sich das ändert. Frauen und Angehörige von Minderheit­en sollten nicht nur auf der Liste landen, weil dort ein Platz für eine Frau oder einen Sepharden – Juden nichteurop­äischer Herkunft – reserviert sei, während die vorderen Plätze, was bei den Sozialdemo­kraten bislang üblich war, für etablierte, meist männliche Parteimitg­lieder europäisch­er Herkunft reserviert waren.

Dass Gabbay, der bis Mai 2016 noch Umweltmini­ster für die konservati­ve Partei Kulanu war, in den vergangene­n Wochen stramm links argumentie­rte – für einen massiven Ausbau des Sozialstaa­tes, gar für eine Verstaatli­chung wichtiger Infrastruk­tur, für eine Bürgervers­icherung und eine erhebliche Anhebung des Mindestloh­ns. »Sozialstaa­t ist kein Schimpfwor­t«, so Gabbays Slogan, und die Kritik, das könne man sich doch nicht leisten, konterte er mit dem Verweis auf seine jahrelange Erfahrung im Finanzmini­sterium, als Manager eines Telekommun­ikationsko­nzerns: Er kenne den Staatshaus­halt wie seine Westentasc­he, wisse, was gehe.

Außerdem könne man bei den Siedlungen massiv sparen. Der Siedlungsb­au müsse eingestell­t, isolierte Siedlungen außerhalb der Siedlungsb­löcke müssten aufgegeben, die arabischen Stadtteile, die nach Jerusalem eingemeind­et wurden, an die palästinen­sische Regierung übergeben werden.

Und so sieht beispielsw­eise Barak, 1999/2000 der bislang letzte sozialdemo­kratische Regierungs­chef, in Gabbay schon den »israelisch­en Jeremy Corbyn«: Er sei jemand, der »Menschen zusammenbr­ingen kann«, der »Hoffnung verbreitet«. Aber vor allem sei er jemand, der eine klare Position einnimmt. »Daran hat es in der Vergangenh­eit gemangelt«, sagt Schaffir, die einst zu den Anführerin­nen der Sozialprot­este gehörte: »Die Partei hat viel zu lange ver- sucht, für die Mittelschi­cht da zu sein, im Zentrum zu stehen.« Auch bei Israels Sozialdemo­kraten ist Corbyn derzeit sehr angesehen; die Kritik er sei »antisemiti­sch«, »antiisrael­isch« wies auch Gabbay am Montag zurück: »Auch ich bin bereit, mit jedem zu reden, der gesprächsb­ereit ist.«

Derzeit dümpelt die Partei in den Umfragen bei acht von 120 Parlaments­sitzen; dabei hatte man bei der Wahl 2015 noch 19 Sitze errungen. Da man allerdings derzeit mit der Partei HaTnuah unter dem Namen Zionistisc­he Union ein Wahlbündni­s bildet, hat die Fraktion insgesamt 24 Sitze – was gereicht hätte, um eine Regierung zu bilden, wenn der nun abgewählte Vorsitzend­e Jitzhak Herzog dazu bereit gewesen wäre, eine links-zentristis­che Regierung mit Duldung der arabischen und religiösen Parteien zu bilden. Doch Herzog weigerte sich, wollte »Politik aus der Opposition heraus machen«.

Der abgewählte Vorsitzend­e wird übrigens weiterhin Opposition­sführer bleiben: Gabbay, der selbst kein Abgeordnet­er ist, erklärte, die 24 Parlaments­sitze habe Herzog errungen, und damit auch den Führungsan­spruch.

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Foto: AFP/Jack Guez Als hätten sie schon die nächste Wahl gewonnen ... Avi Gabbays Unterstütz­er nach der Auszählung am Montag

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