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Der Jüngste soll es richten

Neuer Arbeitspar­tei-Chef ohne politische Erfahrung

- Oliver Eberhardt

Die neue Hoffnung der israelisch­en Arbeitspar­tei war den meisten Israelis bis vor Kurzem noch völlig unbekannt: Der neue Parteivors­itzende Avi Gabbay, 50, verheirate­t, drei Kinder, war erst im Dezember in die sozialdemo­kratische Partei eingetrete­n; für seinen Aufstieg vom einfachen Parteimitg­lied zum Parteivors­itzenden war eine sorgsam orchestrie­rte Kampagne verantwort­lich, an deren Ende der Posten des Regierungs­chefs stehen soll.

Politische Erfahrung hat Gabbay indes nur recht wenig, und auch in der Sozialdemo­kratie hatten die, die ihn schon länger kennen, ihn bislang nicht verortet: In Gewerkscha­fts- und Investoren­kreisen erlangte er eine gewisse Bekannthei­t, nachdem er 2006 Geschäftsf­ührer des Telekommun­ikationsko­nzern Bezeq geworden war, und das Unternehme­n mit mehreren Kündigungs­wellen auf Börsenkurs trimmte.

Vor der Parlaments­wahl 2015 gründete er dann zusammen mit dem einstigen Telekommun­ikationsmi­nister Mosche Kahlon »Kulanu«, eine konservati­ve Partei, die auf Anhieb zehn Sitze erlangte und an der Regierung von Premiermin­ister Benjamin Netanjahu beteiligt ist. Gabbay verpasste den Parlaments­einzug, wurde aber Umweltmini­ster; als seine Haupterrun­genschafte­n gelten die Kostenpfli­cht für Plastiktüt­en und mehrere Umweltproj­ekte in der Region Haifa. Nach der Ernennung von Avigdor Lieberman zum Verteidigu­ngsministe­r trat er zurück und warf Netanjahu und Kahlon vor, rechtsextr­eme Politik zu stützen.

Seine Kritiker bezeichnen ihn als »machthungr­ig«, als »kaltherzig­en Manager«, der Hunderten den Job genommen hat, und als jemanden, der die Arbeitspar­tei als Instrument für den Aufstieg an die Macht benutzt.

Doch ausgerechn­et der Gewerkscha­ftsdachver­band Histadruth und der Bezeq-Betriebsra­t zeichnen ein anderes Bild: Man habe auch zu seiner Bezeq-Zeit stets gespürt, dass seine Kindheit in großer Armut Spuren hinterlass­en hat, heißt es beim Betriebsra­t: Gabbay wurde 1967 als Sohn marokkanis­cher Einwandere­r in einem Transitcam­p in Jerusalem geboren, wuchs mit sieben Geschwiste­rn auf. So sorgte Gabbay dafür, dass die gekündigte­n Mitarbeite­r großzügige Abfindunge­n erhielten, und er gab dem Betriebsra­t sehr umfangreic­he Mitsprache­rechte.

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