nd.DerTag

»Bild« über dem Gesetz?

- Von Tobias Riegel »Merke: keine Steine werfen, keine Titelseite.«

Eigentlich

sollte man die »Bild«Zeitung gar nicht thematisie­ren. Zum einen spült die (stets abperlende) Kritik nur noch mehr Leser in die kommerziel­le Verwertung des politische­n PR-Konzerns. Zum anderen suggeriert die Skandalisi­erung eines einzelnen »Bild«Artikels, dass all die gleichzeit­ig veröffentl­ichten Beiträge des Systems Springerve­rlag nicht skandalös wären. In diesem Text soll es eine Ausnahme geben, da es um einen elementare­n Rechtsgrun­dsatz geht, der von der »Bild« immer und immer wieder attackiert wird: Wer die Persönlich­keitsrecht­e eines mutmaßlich­en Mörders verteidigt, der verteidigt nicht nur die verbürgten Rechte eines Menschen, für den bis zur Verurteilu­ng die Unschuldsv­ermutung gelten muss. Er verteidigt zudem eine zivilisato­rische Errungensc­haft.

Die »Bild«-Zeitung bekämpft diese Errungensc­haft schon lange leidenscha­ftlich und stellt sich regelmäßig anmaßend, offensiv und mit messianisc­hem Anspruch über Tanit Koch, »Bild«

das Persönlich­keitsrecht – indem sie mutmaßlich­e Straftäter schon nach der Verhaftung und lange vor einem Richterspr­uch identifizi­erend abbildet und so vorverurte­ilt. Dadurch wird nicht nur eine möglicherw­eise später freigespro­chene Person schwer beschädigt. Die Praxis erzeugt auch eine hetzerisch­e Atmosphäre, die Freisprüch­e unwahrsche­inlicher macht. Opfer von Verbrechen müssen von diesen sogenannte­n Journalist­en ebenfalls keine Pietät erwarten.

Nun hat die »Bild« es wieder getan: Mutmaßlich­e G20-Randaliere­r wurden mit großen Fotos abgebildet, die Leserschaf­t zur MitFahndun­g aufgerufen. Ein Angeprange­rter hat sich daraufhin der Polizei gestellt, wie das Blatt am Dienstag triumphier­end verkündet. Dieser »Sieg« für »Bild« ist eine schwere Niederlage für das Rechtsempf­inden, die höhnische Twitterbot­schaft von Chefredakt­eurin Tanit Koch macht es noch unerträgli­cher: »Merke: keine Steine werfen, keine Titelseite.« Dazu kommt, dass die Erfahrung zeigt, dass die mutmaßlich­e Rechtsbeug­ung durch »Bild« einfach nicht befriedige­nd sanktionie­rt wird. Da ist es zweitrangi­g, wie viele Menschen sich nun empört an den Presserat wenden.

Es geht hier übrigens nicht um die Bewertung der Randaliere­r in Hamburg. Die darf man getrost als politisch-strategisc­he Volltrotte­l und entweder instrument­alisierte oder verblödete Pseudo-MachoProvo­kateure bezeichnen, die das Geschäft des Gegners erledigen. Es geht stattdesse­n bei der Kritik am Verfolgung­seifer eines privaten Medienkonz­erns um ein extrem wichtiges, langwierig installier­tes Prinzip des Rechts. Und das darf (vor dem Urteil) selbst bei mutmaßlich­en Nazis, Vergewalti­gern oder Kinderporn­ografen nicht verletzt werden – nicht ein einziges Mal, sonst verliert es seinen Wert. Man kann nur hoffen, dass »Bild« den Bogen diesmal überspannt hat. Denn einen Fahndungsa­ufruf darf nur die Polizei ausspreche­n, wie etwa Klaus Hempel aus der ARD-Rechtsreda­ktion betont.

Ein weiterer Aspekt gilt dieser Tage über die »Bild« hinaus für große Teile der deutschen Medienland­schaft: Viele Journalist­en offenbaren ein geradezu gruselig schizophre­nes Verhältnis zur Militanz: Während die Randale in Hamburg zu Recht gegeißelt wird, wurden und werden brennende Barrikaden, maskierte Schläger und besetzte Stadtteile in Venezuela oder beim Kiewer Maidan als »demokratis­ch« geheiligt und verniedlic­ht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany