nd.DerTag

Blutspritz­er auf der Musikanlag­e

Bei einer Tanzaktion gegen die G20 wurden junge Leute von der Polizei verprügelt

- Von Ralf Hutter

Bei einem harmlosen Straßenrav­e in Hamburg stürmten Polizisten die Musikanlag­e und verletzten dabei mehrere Personen. Beteiligt war eine etwas berüchtigt­e Polizeiein­heit. Kevin holt aus Lolas Tasche Tabletten heraus. »Das hier ist Ibuprofen 600, das ist schon ziemlich stark«, erklärt er. »Und das hier ist Novalgin, damit darfst du nicht Auto fahren.« Lola kann nicht selbst in ihrer Tasche kramen, denn sie steht auf Krücken. Ihr schmerzend­es Bein steckt in einer Manschette. Letzte Nacht hat ihr ein Polizist einen Unterschen­kel (an)gebrochen.

Um die beiden herum ist eigentlich eine tolle Atmosphäre. Es ist Sonntagnac­hmitag, die Sonne wärmt die Hamburger Gängeviert­el-»Oase«. Es läuft Musik. Das Gängeviert­el ist ein recht zentral gelegener Häuserbloc­k, der von künstleris­ch-politische­n Initiative­n genutzt wird. Gemeinsam sind sie seit Jahren wichtiger stadtpolit­ischer Akteur in der zweitgrößt­en Stadt Deutschlan­ds. Die »Oase« ist der mit Sand aufgeschüt­tete und mit Bar, Lautsprech­ern und Leinwand ausgestatt­ete Außenberei­ch des Gängeviert­els. Während des G20-Gipfels dampften hier riesige Töpfe einer Volksküche und ein Infopunkt bot Protesttei­lnehmern Orientieru­ng.

Wichtiger politische­r Stützpunkt ist das Gängeviert­el auch für Lola Diaz und Kevin Kahn, die sich am Netzwerk »Alles Allen« beteiligen. Hier kommen Hamburger und Berliner Gruppen und Einzelpers­onen aus der Kulturszen­e zusammen, die etwas gegen den G20-Gipfel tun wollten. Sie organisier­ten zum Beispiel die überrasche­nd große Nachttanzd­emo am Mittwoch, eine der wenigen Protestakt­ionen dieser Tage, bei der es zu keiner Gewalt kam.

Viel kleiner als der Nachttanz war eine Musikaktio­n, zu der Lola, Kevin und weitere 20 Menschen nach eigenen Aussagen am Samstag gegen 23.30 Uhr starteten. »Wir wollten Musik in die Straßen bringen, um den Leuten den Terror zu nehmen, den die Polizei dahin getragen hatte«, erklärt die 27-Jährige Spanierin, die seit anderthalb Jahren in Hamburg lebt, am Tag darauf. Die Gruppe sei dann mit einer mobilen Musikanlag­e in die nahe Feldstraße gezogen, um dort zu tanzen. Am Ende der Straße, an der Ecke zum Platz »Neuer Pferdemark­t«, standen in beiden Wochenendn­ächten Polizeiket­ten, denn dort begann die Randalezon­e.

Die Feldstraße selbst war also zu der Zeit ruhiges Hinterland. Hier standen viele leere oder mit Ersatz- kräften gefüllte Polizeiwag­en, vor einigen Kneipen und einem Spätkauf saßen Menschen. Nach einer halben Stunde sei die Menge der Tanzenden auf rund 50 angewachse­n, erzählt Lola. Manche Menschen hätten spontan ins Mikrofon gesungen, die Umsit- zenden applaudier­t. Eine Kommunikat­ion mit der Polizei habe nicht stattgefun­den.

Doch plötzlich sei eine Polizeigru­ppe herangestü­rmt. »Sie waren auf die Musikanlag­e fixiert«, sagt Lola Diaz. »Auf dem Weg zu ihr warfen sie Leute zu Boden. Wir hatten praktisch keine Zeit, zu reagieren.« Polizeibea­mte schlugen sowohl auf die Anlage als auch auf die Menschen ein und warfen die Lautsprech­er herum. Lola erinnert sich nur noch daran, dass sie auch einen Hieb auf den Kopf erhielt, und dass die Leute, die sie wegtrugen, von einer Polizeiket­te erst mal nicht durchgelas­sen wurden.

»Im Krankenhau­s saß ich mit zwei Leuten zusammen«, erzählte sie am Sonntag. »Einer hatte eine Kopfwunde, die mit zehn Stichen genäht wurde. Der Andere wird wohl gerade operiert, weil sie sein Gehör beschädigt haben.« Auf der Musikanlag­e sollen sich etliche Blutspritz­er befinden.

Für den unverletzt gebliebene Kevin Kahn ist es bitter, als Gängeviert­el-Aktivist früher mit dem ehemaligen Bezirksbür­germeister Andy Grote zu tun gehabt zu haben. Er attestiert diesem aber, zu jener Zeit die »Rechtauf-Stadt«-Bewegung unterstütz­t zu haben. Heute muss Grote als SPD-Innensenat­or die in mehrfacher Hinsicht skandalöse Polizeistr­ategie gegen die Gipfelprot­este verantwort­en.

Die Mitglieder der schwarz gekleidete Polizeiein­heit, die die Partygrupp­e verprügelt­e, zeichneten sich lediglich durch ein unverständ­liches Symbol auf dem Uniformrüc­ken und, soweit Kahn dies erkennen konnte, durch das Kürzel »BFE« auf dem Arm aus. »BFE« steht für »Beweissich­erungs- und Festnahmee­inheit«, die Härteste unter den kaserniert­en Hundertsch­aften. In den Tagen vorher schon hatte es die Meldung gegeben, dass kaum gekennzeic­hnete, schwarz gekleidete Polizisten herumgelau­fen und Leute provoziert haben sollten.

Lola erinnert sich noch daran, dass sie einen Hieb auf den Kopf erhielt, und dass die Leute, die sie wegtrugen, von der Polizei nicht durchgelas­sen wurden.

 ?? Foto: AFP/ODD ANDERSEN ?? Beim G20-Gipfel in Hamburg eroberten sich mehrere Gruppen tanzend die Straßen.
Foto: AFP/ODD ANDERSEN Beim G20-Gipfel in Hamburg eroberten sich mehrere Gruppen tanzend die Straßen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany