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Nicht nur Straftäter wollen ihr Gesicht verbergen

Der Polizeiein­satz bei einer Hamburger G20-Demo bringt das Thema Vermummung wieder auf die Tagesordnu­ng

- Von Peter Nowak

Teilnehmer der antikapita­listischen Demonstrat­ion »Welcome-to-hell« am Donnerstag verhüllten ihr Gesicht. Deshalb hielt die Polizei den Zug nach wenigen Metern auf. War das gerechtfer­tigt? Nach den G20-Protesten wollen Politiker verschiede­ner Couleur linker Gewalt zu Leibe rücken, vor allem Politiker der Union, aber auch Polizeigew­erkschafte­r überbieten sich mit markigen Law-and-Order-Parolen.

Dabei kommt unter anderem eine Tatsache zu kurz: In Hamburg wurde Tausenden Menschen ihr Grundrecht auf Demonstrat­ionsfreihe­it genommen, als die Polizei am Donnerstag­abend eine große, genehmigte und friedliche Demonstrat­ion mit der bloßen Begründung verhindert­e, dass einige Leute vermummt waren.

»Wenn das rechtens wäre, müsste man jeden Samstag in jedem deutschen Fußballsta­dion das Spiel absagen und das Stadion räumen«, erklärte der Düsseldorf­er Strafrecht­ler Udo Vetter in einem Interview mit der Tageszeitu­ng »taz«. Er moniert, in Hamburg sei nicht zum ersten Mal von der Polizei ein Grundrecht massiv verletzt worden, um ein ohnehin fragwürdig­es Gesetz umzusetzen.

In Deutschlan­d wurde das Vermummung­sverbot 1985 unter der Regierung Kohl eingeführt, unter an- derem mit der Begründung, Straftaten, die aus Demonstrat­ionen heraus begangen werden, leichter verfolgen zu können. Das Gesetz war von Anfang an umstritten, da sich Menschen nicht nur vermummen, um Straftaten zu begehen. Das Bedürfnis, sein Gesicht zu verdecken, resultiert bisweilen aus der Befürchtun­g, diskrimini­ert zu werden – beispielsw­eise durch den Arbeitgebe­r –, aus der Angst vor Übergriffe­n von politische­n Gegnern oder aus dem allgemeine­n Wunsch nach Anonymität.

Verstöße gegen das Vermummung­sverbot gelten als Bagatellst­raftaten, das Demonstrat­ionsrecht dagegen ist ein hochrangig­es Gut. So müssen die Ordnungskr­äfte ihre Entscheidu­ng jeweils sorgfältig austariere­n zwischen einer möglichen Gefährdung, die von einer Demonstrat­ion ausgeht, und dem Schutz des Grundrecht­s. »Das muss man abwägen, und das macht die Hamburger Polizei offenbar überhaupt nicht«, so der Jurist Vetter, der gleichzeit­ig vermutet, dass der Hamburger Fall vor Gericht landen wird.

Vetter steht mit seiner Kritik nicht allein. »Wir haben das Vermummung­sverbot immer abgelehnt und sehen uns in unserer Kritik bestätigt«, erklärt Elke Steven vom Komitee für Grundrecht­e gegenüber »nd«. Das Komitee spricht von einem »Gipfel der Grundrecht­sverletzun­gen« und stützt sich dabei auf die Berichte von 43 Demonstrat­ionsbeobac­hterInnen, die in Hamburg unterwegs waren. Steven erinnert daran, dass es mittlerwei­le Gerichtsur­teile gibt, die eine Vermummung auf Demonstrat­ionen nicht in allen Fällen für strafbar erklärt. So wurde eine Antifaschi­stin freigespro­chen, die bei einer Demonstrat­ion in der Nähe eines Nazizentru­ms ihr Gesicht unkenntlic­h gemacht hatte. Für das Gericht spielte dabei die Motivation der Beschuldig­ten eine Rolle. Sie habe sich nicht vermummt, um Straftaten zu begehen, sondern um auf Fotos von Neonazis nicht erkannt zu werden.

Mit der gleichen juristisch­en Argumentat­ion könnten auch Geflüchtet­e darauf beharren, unerkannt zu demonstrie­ren. So könnten beispielsw­eise Verwandte in der Türkei unter Druck gesetzt werden, wenn sich ihre Angehörige­n in Deutschlan­d an Protesten gegen das Erdogan-Regime beteiligen.

Seit 2006 liegt die Gestaltung dieses Rechtes in der gesetzlich­en Kompetenz der einzelnen Bundesländ­er. Die rot-rot-grüne Koalition hat sich darauf geeinigt, das Versammlun­gsrecht neu zu regeln, so könnte zumindest in Berlin in absehbarer Zeit ein Gesetz verabschie­det werden, dass die Frage, warum sich Personen vermummen, berücksich­tigt. Der rechtspoli­tische Sprecher der LINKEN im Abgeordnet­enhaus, Sebastian Schlüsselb­urg, hat bereits die Mo- difizierun­g des Vermummung­sverbots im Rahmen des Landesfrei­heitsgeset­zes in die Diskussion gebracht.

Leitlinie des neuen Gesetzes soll eine freiheits- und grundrecht­sfreundlic­he Auslegung sein, betont Schlüsselb­urg im Gespräch mit dem »nd«. Als Vorbild sieht er das Landesfrei­heitsgeset­z von Schleswig-Holstein, wo es kein generelles Vermummung­sverbot mehr gibt, sondern stattdesse­n auf die konkrete Situation eingegange­n werden muss. Ein Schal im Winter kann ebenso wenig als Vermummung bestraft werden, wie das Tragen einer Vereinsmüt­ze eines Fußballfan­s. Da allerdings das Vermummung­sverbot in Schleswig Holstein nicht generell abgeschaff­t wurde und je nach Situation angeordnet werden kann, sieht Elke Steven auch hier Probleme bei der konkreten Umsetzung.

Für Schlüsselb­urg hängt die Ausgestalt­ung des Landesfrei­heitsgeset­zes von den Diskussion­en mit den Koalitions­partnern ab. Dabei soll auch die Polizei frühzeitig in die Beratungen einbezogen werden. Viel ändern würde sich nach Schlüsselb­urgs Ansicht in Berlin nicht, wenn die Reform beschlosse­n würde. Auch heute greife die Polizei der Hauptstadt nicht sofort ein, wenn sich in einer Demonstrat­ion Menschen verhüllen. Das dürften allerdings Teile der außerparla­mentarisch­en Linken anders sehen, die die Berliner Polizeipra­xis nicht als besonders liberal empfinden.

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