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Räder und Rinder

Tom Mustroph fragt, was von der Tour in ferner Zukunft bleibt

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Die 10. Etappe der Tour de France führte durch historisch sehr dicht besiedelte­s Gebiet. Die Höhle von Lascaux – die »Sixtinisch­e Kapelle der Frühzeit des Menschen« – lag an der Strecke. Die kolorierte­n Fellsmaler­eien über die Jagd auf Stiere, mit galoppiere­nden Wildpferde­n und sogar einem Einhorn, werden auf 17 000 bis 15 000 vor unserer Zeit datiert, jüngere Forschunge­n gehen sogar von einem Alter von bis zu 38 000 Jahren aus.

Die damaligen Michelange­los gehörten zu den sogenannte­n Cro-Magnon-Menschen. Zahlreiche weitere Siedlungsf­unde unserer Vorfahren säumten die Strecke am Dienstag, darunter plastische Darstellun­gen von Familiensz­enen und Jagdszenen in Lebensgröß­e.

Das warf die Frage auf, was intelligen­te Lebensform­en in weiteren 20 000 oder 30 000 Jahren von jenen gelben Plastikpla­nen halten mögen, die heute überall in Etappenort­en hängen und dann vielleicht noch immer nicht verrottet sein werden? Oder von gelb angemalten Fahrrädern aus Karbon, auf denen die Fahrer aktuell unterwegs sind?

Gewiss werden die Archäologe­n der Zukunft dank modernster Methoden die Malereien in Lascaux von den Utensilien der Tour de France 2017 zeitlich trennen können. Sie werden sich mit Blick auf die zeitlich in der gleichen Epoche datierten Autos, Lokomotive­n, Atomkraftw­erke und Flugzeuge vermutlich aber auch fragen, wo denn bei diesen Karbonkons­truktionen mit derart schmalen Rädern die Motoren steckten.

Wahrschein­lich wird es Theorien geben, die es zur kultischen Handlung erklären, Strecken auf der Erdoberflä­che mit anachronis­tisch langsamen Gefährten zurückzule­gen und sich dabei noch von Hunderttau­senden zujubeln zu lassen. Werden sie die Radelnden später also als gottähnlic­he Wesen bezeichnen? Oder als Opfertiere jenes geheimnisv­ollen Kults? Und wie werden dann die plastische­n Darstellun­gen dieser kultischen Handlung in Lebensgröß­e aussehen? Fragen über Fragen beim Berühren der erst gut 100-jährigen Tour de France mit der Frühzeit des Menschen.

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Foto: nd/Jirka Grahl Tom Mustroph, Radsportau­tor und Dopingexpe­rte, berichtet zum 16. Mal für »nd« von der Tour de France.

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