Das Terror-(Kinder)-Spiel
Im Kino: »Berlin Falling« von Ken Duken
Berlin Falling« ist neben Rainer Werner Fassbinders »Die dritte Generation« (1979) einer der ganz wenigen deutschen Spielfilme, die das Thema Terror nicht in einer klischeehaften, offiziösen, naiven und unbefriedigenden Weise behandeln. Der Film behauptet zum einen nicht permanent, dass »wir« die Guten sind, die (völlig überraschend) von muslimischen Teufeln attackiert werden, weil die »unsere Freiheit hassen«. Statt dessen konstruiert er durch intelligente Wendungen ein komplexes und nachvollziehbares alternatives Deutungs-Angebot. Das bezieht auch die nicht prinzipiell abwegige Möglichkeit einer Aktion unter falscher Flagge mit ein – oder auch die von Fassbinder 1979 skizzierte Instrumentalisierung von unwissenden und nützlichen Terror-Idioten durch das Großkapital. Zum anderen ist »Berlin Falling« stark gespielt, schnörkellos inszeniert und insgesamt ein komprimierter, trockener und spannender Polit-Thriller.
Frank (Ken Duken) ist ein abgewrackter Afghanistan-Veteran und Misanthrop, der die Alpträume von seinen Kriegsverbrechen im billigen Fusel ertränkt und einsam in einer Bruchbude vegetiert, wo ihn seine Dämonen jagen. Endlich erhält er die Nachricht, dass er seine kleine Tochter wiedersehen darf, und macht sich auf eine lange Autofahrt zum Berliner Hauptbahnhof. An einer Tankstelle willigt er ein, den sympathischen Anhalter Andreas (Tom Wlaschiha) mit in die Hauptstadt zu nehmen. Ein großer Fehler: Die Plaudertasche Andreas entpuppt sich als brutaler Erpresser, Entführer und Terrorist, der Frank ins Zentrum eines perfiden Plans gestellt hat. »Berlin Falling« lebt von seinen finsteren und zynischen Twists, weshalb hier von der Handlung nicht mehr verraten werden soll.
Der Film (endlich mal ein mutiger und konsequenter deutscher GenreThriller) ist zu großen Teilen ein Roadmovie durch die Brandenburger Schneelandschaft, die hier und da an das Minneapolis aus »Fargo« erinnert. Er ist auch über weite Strecken ein nervenaufreibendes Kammerspiel, da die meisten Szenen die beiden Protagonisten in engen Räumen wie dem Auto oder in Kellerverliesen zeigen. In der Reizarmut solch beschränkter Schauplätze wer- den die geschliffenen Dialoge aus der Feder des Drehbuchautoren Christoph Mille besonders wichtig. Und die schwirren wie giftige Pfeile hin und her, kein Wort zu viel wird hier investiert, um maximale Wirkung und Glaubwürdigkeit herzustellen. Das gilt auch für die selten, aber dafür schockierend aufblitzende Brutalität.
Ab und zu werden psychedelische Effekte eingestreut, die aber nicht als Fremdkörper erscheinen, etwa verschwimmen die Lichter der immer wieder gezeigten Windräder vor den erschöpften Augen Franks zu Farbteppichen. Die Kamera von The Chau Ngo ist derweil stets extrem nah am Geschehen und vor allem an den markanten Gesichtern der beiden glaubhaften Darsteller.
Duken vermittelt trotz der äußeren Erscheinung des jungen Schönlings eine brodelnde Unruhe, eine lauernde Müdigkeit, eine authentische innere Beschädigung. Aber auch Vielfalt: Frank ist Kriegsverbrecher, Säufer, Kampfmaschine, liebender und zerbrechlicher Vater, Täter und Opfer in einem, und er springt ansatzlos und sehr gekonnt zwischen diesen Facetten.
Tom Wlaschiha gibt den Anhalter und Erpresser mit diabolischen Zügen: Im einen Moment ist er gewinnender Charmeur, im nächsten der eiskalte und zu allem entschlossene Sadist. Der Darsteller des undurchsichtigen Jaqen H’ghar aus »Game Of Thrones« lässt seine Figur aber nicht zur Karikatur des genialischen und schizophrenen Terror-Planers verkommen. Manchmal schaltet er großartig aus einem wilden Wutanfall unvermittelt in den geschäftsmäßigen Modus des sachlichen Organisators. Es sind jedoch genau diese Wutanfälle, die dann (im Vergleich zu Wlaschihas sonstigem eiskalt-beunruhigendem Spiel) manchmal aufgesetzt erscheinen.
Erwähnung muss noch Ken Duken als Regisseur finden, der seine erste Inszenierung auch gleich selber pro- duziert und in ihr die Hauptrolle übernommen hat – vielleicht sind die Augenringe des Protagonisten Frank Resultat dieser Dreifachbelastung? Egal: »Berlin Falling ist eins zu eins der Film, den ich machen wollte«, sagte er nach der Premiere beim Filmfest München.
»Berlin Falling« dockt gekonnt an die Leerstellen an, die die offiziellen Versionen der Terror-Tathergänge offenbaren, wenn man sich etwa mit dem mutmaßlich islamistischen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt oder dem mutmaßlich staatlich verstrickten NSU-Terror näher beschäftigt. Der Film hat das Zeug, eine gehörige Portion Skepsis gegenüber den offiziellen Terror-Narrativen zu sähen, in denen die Attentate in dem Moment als aufgeklärt deklariert werden, in denen ein islamistisches Bekennervideo und ein vom Täter verlorener Personalausweis präsentiert werden. So ominös, dubios und zwielichtig wie das schreckliche Zeugensterben rund um den NSU-Komplex erscheint, so undurchschaubar und unberechenbar ist auch die von Duken erzeugte Stimmung in seinem Film.
Eine einfache Lehre, die Terrorermittler und Journalisten aus diesem düsteren und packenden Thriller ziehen können ist: Es ist ein Kinderspiel, die wahre Urheberschaft von Terroranschlägen zu verschleiern.
So zwielichtig, wie das schreckliche Zeugensterben rund um den NSU erscheint, so undurchschaubar ist auch die von Duken erzeugte Stimmung in seinem Film.